1.9. Die Praxis der Achtsamkeit

1.9. Die Praxis der Achtsamkeit

In jedem Moment unseres Lebens können wir eine kleine Anstrengung unternehmen, im Hier und Jetzt zu bleiben. Wenn du gehst, kannst du bewusst die Fußsohlen spüren. Du kannst die Berührung deiner Hände wahrnehmen, während du etwas greifst – etwa beim Betätigen einer Türklinke. Selbst beim Zähneputzen kannst du bewusst in deinem Körper bleiben.

Gedanken mögen weiterhin auftauchen, doch wir bemühen uns, die Wirklichkeit nicht aus den Augen zu verlieren und uns nicht vollständig mit unserem Denken zu identifizieren. Stattdessen bleiben wir mit unserem Bewusstsein in diesem Moment, in diesem Körper.

Achtsamkeit ist keine Konzentration. Sie ist ein offenes, weites Gewahrsein des Moments, das in der physischen Realität geerdet ist.

Beispielsweise sitze ich im Garten, spüre meine Fußsohlen, den Druck des Stuhls, auf dem ich sitze, rieche den Duft der Blumen, höre die Geräusche der Vögel und Insekten und spüre, wie sich mein Herz dabei anfühlt. Alles ist gleichzeitig bewusst. Sobald ein Mensch kommt, kann ich mit meiner vollen Aufmerksamkeit bei ihm sein, ohne dass mich meine Gedanken und inneren Bilder davon ablenken.

Achtsamkeit ist kein träumerischer Zustand, sondern ein waches Sein in diesem Moment. Auch beim Autofahren kann man achtsam sein. Hier richtet sich die volle Aufmerksamkeit jedoch auf den Verkehr – andernfalls wäre es gefährlich. Man sieht den Abstand zu den vorausfahrenden Autos, ist sich gleichzeitig über die Situation neben und hinter sich durch die Spiegel bewusst. Der Körper ist spürbar, man fühlt die Hände am Lenkrad und atmet. Dies ist eine eher nach außen gerichtete Achtsamkeit. In der Meditation hingegen richten wir die Achtsamkeit mehr nach innen – auf das, was in unserem Gemüt und Geist geschieht.

Konzentration ist lediglich anfangs nötig, um aus der völligen Identifikation mit unserer Gedanken- und Bilderwelt auszusteigen. Hier braucht es eine bewusste konzentrative Anstrengung, um uns immer wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen. Damit beginnt der Weg. Es kann sehr lange dauern, bis Achtsamkeit im Hier und Jetzt zu unserem gewohnten Zustand wird.

Achtsamkeit führt uns zu ständiger Meditation und Gebet. Ein Mystiker versucht, den ganzen Tag in einem achtsamen Zustand zu bleiben.

In einem derartigen Zustand können auch die Gedanken und Prozesse des Gemüts unser Bewusstsein nicht mehr einschläfern. Wir bleiben im Hier und Jetzt, mit dem Bewusstsein in unserem Körper. Gedanken und innere Bilder nehmen wir wahr, ohne uns darin zu verlieren. Wir sind uns unserer selbst bewusst, erkennen Gedanken als Gedanken und Gefühle als Gefühle – ohne uns damit zu identifizieren.

In einem solchen Zustand ist man sehr offen für Intuition. Unser Herz bleibt offen und wird leicht berührt. Eine tiefe Liebe schwingt in allem.