2.5.1 Phänomen 2: Die dunkle Nacht der Seele
„Die dunkle Nacht der Seele“ ist eine vorwiegend christliche Bezeichnung für ein Phänomen, das in allen mystischen Traditionen bekannt ist. Es handelt sich um eine Phase tiefster innerer Verlassenheit, in der die Nähe Gottes nicht mehr spürbar ist.
Die „dunkle Nacht der Seele“ im Buddhismus:
In der meditativen Praxis wird oft von tiefen Krisen gesprochen, wie etwa den „nanas“ (Einsichtsstufen) in der Vipassana-Tradition.
Hier gibt es Stadien wie die „Wissensklarheit über das Entstehen und Vergehen“ (die oft mit Euphorie beginnt) und dann das „Wissen über das Leiden“ (dukkha-nana), das von Frustration, Verwirrung und existenziellen Ängsten geprägt ist. Dies geht der tiefen Befreiung voraus.
Mystiker, die durch ihr tiefes Gebetsleben bereits die innere Glückseligkeit der göttlichen Präsenz erfahren haben, erleben diesen Zustand besonders schmerzhaft, wenn er plötzlich schwindet.
Es ist ein Gefühl tiefer Einsamkeit und Verlassenheit. Man könnte diese Phase auch als geistige Krise oder tiefe Glaubenskrise bezeichnen. Sie geht oft mit großen Zweifeln und einer Ernüchterung einher.
Doch alle tiefgläubigen Menschen durchleben solche Krisen und erfahren nach deren Überwindung eine Vertiefung und Erneuerung ihres Glaubens. Der Glaube wird dadurch reifer und erwachsener. Die dunkle Nacht der Seele ist somit ein natürlicher Teil des Weges zu Gott.
Natürliche Schwankungen in der Nähe zu Gott
Es gibt auch natürliche Schwankungen in der empfundenen Nähe zu Gott.
Emanuel Swedenborg beschreibt, dass sogar Engel im Himmel nicht immer in gleicher Nähe zu Gott leben. Er bezeichnet alle Geistwesen als Engel, auch verstorbene Menschen. Sie durchlaufen Phasen, in denen sie stärker auf sich selbst bezogen sind.
In solchen Zeiten empfinden sie tiefe Traurigkeit und sehnen sich danach, dass diese Phase schnell vorübergeht. Danach folgen wieder Perioden, in denen sie Gott nahe sind und von Glückseligkeit erfüllt werden.
Sun Myung Moon spricht in diesem Zusammenhang von den vier Jahreszeiten des Gemüts, in denen sich unsere Gefühle auf natürliche Weise verändern. Diese zyklischen Veränderungen finden nicht nur über lange Zeiträume hinweg statt, sondern sogar innerhalb eines Tages:
Morgen – Frühling
Mittag/Nachmittag – Sommer
Früher Abend – Herbst
Nacht – Winter
Jede dieser Tageszeiten enthält wiederum in sich selbst diese vier Jahreszeiten. Diese Schwankungen entstehen durch die Rotation des Tores des Gemüts (Geistiges Gemüt).
Wenn unsere geistige Empfindsamkeit geöffnet ist, spüren wir, wann wir Gott im Gebet besonders tief erreichen können.
Ich selbst erlebe oft, dass mich zu unterschiedlichen Tageszeiten eine tiefe Sehnsucht nach Gebet erfasst – manchmal am Nachmittag, manchmal mitten in der Nacht, etwa um 3 Uhr morgens, wenn ich durch Träume geweckt werde.
Diese natürlichen Schwankungen sind jedoch keine „dunkle Nacht der Seele“. Sie sind vielmehr Ausdruck einer inneren Bewegung.
Die dunkle Nacht der Seele ist eine tiefgreifende Krise
Die dunkle Nacht der Seele hingegen ist eine massive spirituelle Krise. Sie ist Teil eines tiefen Wiederherstellungsprozesses, der eine grundlegende innere Veränderung bewirken soll.
Durch diese Phasen hindurchzugehen, bereitet uns auf eine große Gnade vor – ein wunderbares Geschenk erwartet uns.
Jede dunkle Nacht der Seele enthält eine Lektion und eine Botschaft. In einer solchen Phase sollten wir daher aufmerksam darauf achten, was Gott uns lehren möchte.
2.5.2 Meine persönliche Erfahrung mit der dunklen Nacht der Seele
Ich praktizierte seit einiger Zeit wieder Zen-Meditation und herkömmliche christliche Gebete. Doch ich sehnte mich nach einer direkteren Erfahrung Gottes. Im Grunde befand ich mich bereits in einer Glaubenskrise und war innerlich verzweifelt. Ich wollte einen neuen Anlauf wagen, um ein tieferes Gebet zu erringen.
Daraufhin veränderte ich meine Zen-Meditation. Aus reiner Achtsamkeitsmeditation wurde eine Kontemplation über die Präsenz Gottes. Bei jedem Atemzug machte ich mir bewusst, dass Gott in diesem Moment da ist. Dazu verwendete ich eine Art Mantra mit dem Satz:
„Gott ist jetzt da.“
dieses Gebet praktizierte ich täglich für etwa 90 Minuten.
Ich hatte so viel über Gott gelesen und gelernt, doch ich wollte mich von all diesen Konzepten befreien und Gott so begegnen, wie er wirklich ist. Ich wollte ihn nicht länger in eine Schublade aus Gedanken und Vorstellungen zwängen.
Ich sagte zu ihm: „Auch wenn du kein guter, liebender Gott sein solltest – ich möchte dich trotzdem erleben, so wie du wirklich bist.“
Mit der Zeit entwickelte sich in dieser Form des Gebets ein Gefühl, das ich nur schwer in Worte fassen kann. Es war, als säße ich ganz allein in einer stockdunklen, kalten Halle auf einem Betonboden. Ich fühlte mich leer und einsam. Dieses Gefühl verstärkte sich mit den nächsten Wochen und Monaten.
Die Halle wurde immer größer, der Boden immer kälter, die Umgebung immer dunkler.
Ich flehte Gott innerlich um ein Zeichen an – doch es kam nichts. Kein Licht, kein Funke, kein Geräusch, kein Gefühl.
Nur vollkommene Stille, tiefste Finsternis und absolute Leere.
Die Halle dehnte sich schließlich so weit aus, dass sie das gesamte Universum zu umfassen schien. Ich war allein in dieser unendlichen Dunkelheit.
Kein Zeichen von Gott.
Ich fragte mich, warum Gott mir nicht wenigstens ein kleines Zeichen geben konnte, wo ich ihn doch so verzweifelt darum bat. In dieser Zeit haderte ich mit ihm. Manchmal zweifelte ich sogar an seiner Existenz.
Dann führte mich Gott zu einer Gruppe, die das Herzensgebet praktizierte – im Grunde genau das, was ich bereits seit einem halben Jahr tat. Dort wurde mir ein Buch empfohlen, in dem ich eine Passage über den scheinbar schweigenden Gott las. Es war für mich eine große Erleichterung zu erfahren, dass auch andere kontemplative Christen ähnliche Erfahrungen machen.
Einige Zeit später wurde mir klar, was Gott mir durch diese Dunkelheit zeigen wollte.
Gott ist in mir
Obwohl ich tief im Gebet versenkt war, suchte ich Gott weiterhin im Außen. Ich wollte ein wahrnehmbares Zeichen von ihm. Schon oft hatte ich bei Sun Myung Moon gelesen, dass Gott im Innersten des Herzens wohnt – doch in meiner Meditation hatte ich das noch nicht wirklich verinnerlicht.
Man kann meditieren, ohne wirklich nach innen zu gehen.
Erst als ich begann, dies bewusst zu lernen, entwickelte sich eine Art Herzmeditation. Das Gefühl der Verlassenheit verschwand. Stattdessen stellte sich eine leise, stille Freude in meinem Herzen ein.
Später erkannte ich zudem, dass ich Gott durch meine Sinne wahrnehmen wollte.
Doch Buddha lehrt, dass auch die Wahrnehmungen leer sind. Und Sun Myung Moon sagt, dass man Gott nicht einmal in der geistigen Welt direkt wahrnehmen kann – denn er ist reiner Geist, ohne Form.
Wie man sich der Präsenz Gottes dennoch bewusst werden kann, werde ich später noch beschreiben.