2.6.1 Phänomen 3: Selbsterkenntnis - Reinigung des Gemüts

Selbsterkenntnis ist eine natürliche Folge der Meditation und des stillen Gebets. Solange wir Gebete aus unseren Gedanken und Gefühlen heraus sprechen, findet dieser Prozess nur begrenzt statt.

Erst wenn wir in die Stille gehen, werden wir mit unserer Wirklichkeit konfrontiert.

Wir beginnen, den Zustand unseres Gemüts zu erkennen.

Jeder von uns hat ein bestimmtes Selbstbild. Doch dieses ist lediglich ein Konstrukt – eine Vorstellung von uns selbst.

Die Wirklichkeit kann anders sein, und sie ist es mit Sicherheit auch.

Wenn wir über längere Zeit regelmäßig meditieren, verbringen wir Stunden und Tage mit unserer wahren Wirklichkeit. In der Meditation können wir nichts ausblenden oder verdrängen, selbst wenn es uns nicht gefällt. 

Wir werden gnadenlos mit allem konfrontiert, was uns ausmacht. Der innere Weg zu Gott führt uns durch unsere eigene Wirklichkeit.

Es gibt keinen Weg, die Wiederherstellung unserer inneren Natur zu umgehen.

Der Weg zu Gott führt uns durch diesen Prozess der Selbsterkenntnis.

Was ist Gebet? Es ist Reinigung. Es ist notwendig, deinen Geist zu reinigen. Es ist eine Methode der Disziplin, um unseren Geist zu reinigen. Es ist notwendig, deinen Geist zu vereinen.

Durch das Gebet wirst du den Standard des ursprünglichen Gewissens wiederherstellen

Es werden Situationen aus unserem Leben auftauchen, in denen wir auf eine bestimmte Weise gehandelt haben. Oft zeigt sich dabei ein anderes Bild von uns selbst. So gelangen wir Schicht für Schicht zu einer immer tieferen Selbsterkenntnis.

Das Erkennen der eigenen Wirklichkeit ist die Voraussetzung für eine positive Veränderung. Solange wir uns Illusionen über uns selbst machen, wird keine teifgreifende Veränderung stattfinden.

Diese Art der Selbsterkenntnis kann zunächst unangenehm sein. Christliche Mystiker sprechen von der „schmerzhaften Selbsterkenntnis“. 

Doch letztendlich führt sie uns in die wahre Freiheit – denn wir legen unsere ursprüngliche Natur oder, im buddhistischen Terminus, unser wahres Selbst frei. Wir beginnen, unsere gefallene Natur abzulegen, so wie eine Schlange ihre alte Haut abstreift. 

Am Ende werden wir mit der Entdeckung unseres wahren Selbst beschenkt.

Angewohnheiten können ewig bestehen; es ist so schwer, sie zu ändern. Aber dennoch können sie geändert werden, während ihr auf der Erde lebt...

Wenn eine Schlange sich häutet, wird sie so lange herumkriechen, bis sie eine
Felsspalte findet, in der ihr Schwanz hängen bleibt. Sie wird dann ihren Körper um einen Baum winden und sich mit aller Kraft daran reiben und sogar bluten, um ihre Haut abzustreifen.

2.6.2 Unterschiedlicher Standard der Reinheit

Eine Straße gilt als sauber, wenn kein Müll herumliegt. Doch wäre der gesamte Staub dieser Straße in unserem Badezimmer, würden wir es als sehr schmutzig empfinden. Selbst nachdem wir das Badezimmer gründlich gereinigt haben, bleibt immer noch etwas Staub zurück. 

Hätten wir jedoch den Reststaub eines sauberen Badezimmers in unserem Auge, wäre das äußerst unangenehm – und wir würden ihn sofort entfernen wollen.

Genauso existiert im geistigen Leben ein wachsender Standard der Reinheit. Wenn wir das stille Gebet praktizieren, bewegen wir uns auf Gott zu. 

In der Gegenwart Gottes wird selbst das kleinste Staubkorn sichtbar.

Jemand mag von sich behaupten, nicht zu sündigen, weil er nicht stiehlt und seinem Partner treu ist. Doch in der Meditation könnte er erkennen, dass er durch seine Handlungen oder Unterlassungen dennoch Menschen und Gott verletzt. Diese Erkenntnis fordert eine Anpassung des Selbstbildes.

Letztendlich verletzen wir unser eigenes Herz, wenn wir andere oder Gott verletzen. 

Unser ursprüngliches Herz ist sehr rein. Je mehr wir es verletzen, desto mehr entfernen wir uns von unserer Mitte und unserem wahren Selbst. Später werden wir den Schmerz, den unser liebloses Handeln im Herzen verursacht, immer deutlicher spüren.

2.6.3 Meine persönliche Erfahrung mit der schmerzhaften Selbsterkenntnis

Ich befand mich in einer Phase, in der ich zugegebenermaßen etwas depressiv war. Innerlich ging es mir nicht gut. 

Es war Winter, ich arbeitete seit Langem zu viel und war erschöpft. Die äußere Situation war kurzfristig nicht zu ändern, und ich hatte keine Perspektive, dass es in absehbarer Zeit besser werden würde. In solchen Lebensphasen werde ich leicht depressiv, da ich von Natur aus dazu neige.

In meiner Meditation tauchten ständig negative Gedanken über andere Menschen auf. Mit der Zeit wurde mir immer klarer, was in mir vorging: 

Ich fühlte mich schlecht und versuchte, mich besser zu fühlen, indem ich andere innerlich abwertete und kritisierte. 

Nach und nach kamen auch Erinnerungen an Situationen aus meiner Vergangenheit hoch, in denen ich genau dasselbe getan hatte.

Das Bild, das mir von mir selbst gezeigt wurde, füllte mein gesamtes Inneres aus. Es schien, als hätte ich mein ganzes Leben nichts anderes getan, als andere abzuwerten, um mich selbst aufzuwerten. 

In einer Psychotherapie hätte man nun am Selbstwertgefühl gearbeitet. Doch auf meinem Gebetsweg erschloss sich mir etwas anderes: Mir wurde schmerzhaft meine innere Verhaltensweise bewusst. 

Ich war entsetzt – ja, sogar angeekelt von meinem eigenen Vorgehen. Ich hatte die Nase voll von mir selbst.

Ich hatte bereits viele Jahre Psychotherapie hinter mir, bis mir Psychologen sagten, es bringe nichts mehr – ich müsse einfach damit leben. Zudem lag fast 40 Jahre eines religiösen Weges hinter mir, und dennoch war ich immer noch so. 

Ich verlor die Hoffnung, mich in diesem Leben noch verbessern zu können. Mit all meiner angeblichen Weisheit als erfahrener Familientherapeut war es mir nicht gelungen, mich tiefgreifend genug zu heilen und zu verändern. 

Es fühlte sich an, als würde ich innerlich zermürbt.

Doch genau an diesem Punkt geschah etwas Bedeutendes. Das größte Glück meines inneren Lebens öffnete sich für mich: 

Ich wurde bereit, mich ganz in Gottes Hand zu legen. 

Ich bat Gott, mich zu verändern – und es begann damit, dass ich das Wunder seines Wirkens erfahren durfte.

2.6.4 Wie Gott uns verändert

Es ist nicht einfach, sich Gott anzuvertrauen – dass er mein Leben führt und ich meine Entscheidungen nach seinem Willen ausrichte. 

Doch noch schwieriger war für mich, die Veränderung meines Wesens in Gottes Hand zu legen.

Sich selbst zu erforschen bedeutet, sich selbst zu vergessen. Sich selbst zu vergessen bedeutet, von allen Dingen erweckt zu werden.

Gewöhnlich wollen wir uns selbst so verändern, wie wir es für richtig halten. Wir möchten so werden, wie wir es uns wünschen. 

Doch nicht immer ist das der beste Weg für uns. Vielleicht soll ich gerade so werden, wie Menschen, die ich ablehne oder uncool finde.

In meiner Vergangenheit habe ich andere oft als leichtgläubig und naiv abgewertet. So wollte ich nicht werden – und auch nicht so erscheinen. Ich tat alles, um nicht als leichtgläubig dazustehen. 

Die Vorstellung, von anderen so gesehen und abgewertet zu werden, wäre für mich sehr schmerzhaft gewesen.

Doch was, wenn Gott mich in eine Richtung verändern möchte, in der ich für andere vielleicht genau so erscheine? Früher hätte ich das blockiert und mich mit aller Kraft dagegen gewehrt. 

So wollte ich niemals werden.

Die Veränderung meines Wesens in Gottes Hand zu legen bedeutet, diesen Widerstand aufzugeben und mich ihm anzuvertrauen. 

Es bedeutet, darauf zu vertrauen, dass Gott mich auf den bestmöglichen Weg führt – zu einer Veränderung, für die ich am Ende mit Sicherheit glücklich und dankbar sein werde.

Wie verändert uns Gott durch das stille Gebet?

Wenn wir uns im reinen Gebet für Gott öffnen, sitzen wir in Stille in seiner Präsenz. 

Wir ‚schauen Gott‘ – wie es christliche Mystiker ausdrücken. In seiner Gegenwart beginnt er, auf uns zu wirken. 

Die Veränderung unseres Wesens ist unvermeidlich. 

Die geschieht langsam, aber stetig. Oft wird ihre Wirkung erst nach Wochen oder Monaten sichtbar.

Wenn wir es zulassen, kann Gott eine tiefgreifende Veränderung in uns bewirken. 

Eine Weisheit beginnt in uns zu wirken und uns zu führen, die die unsere um ein Vielfaches übersteigt. Das Ergebnis wird besser sein, als wir es uns je vorstellen können. 

Das habe ich am eigenen Leib erfahren dürfen.

Durch die Erfahrungen, die ich in den nächsten Abschnitt schildere, wird das noch deutlicher werden.

2.6.5 Wie mir Gott das Prinzip der Reue offenbarte

Das Konzept von Reue hatte für mich oft einen bitteren Beigeschmack. Es fühlte sich manchmal an wie ein Sich-selbst-kleinmachen oder Abwerten.

Ich fragte mich, warum Gott unsere Reue braucht, wenn er uns doch vollkommen liebt. 

Ich will ja auch nicht, dass meine Kinder bereuen, wenn sie mich verletzt haben. Mir genügt es, wenn sie sich wieder öffnen. Dann kann auch ich mich wieder öffnen, und alles ist gut – die Liebe kann wieder fließen.

Wie Gott mir diesen inneren Schritt offenbart hat, war eine echte Überraschung. 

Ich schildere es anhand einer Erfahrung.

Es war eine Phase, in der im Gebet immer wieder Situationen aufkamen, in denen ich lieblos gehandelt hatte. Eigentlich war ich überzeugt, ein liebevoller Mensch zu sein. Doch diese Situationen zeigten mir ein anderes Bild von mir selbst. Über einige Zeit hinweg wirkte das auf mich ein. 

Ich begann, es zuzulassen, und akzeptierte das veränderte Bild von mir. 

Daraufhin stellte sich eine traurige Stimmung ein, die einige Tage anhielt.

Kein Mensch ist einer himmlischen Tröstung Wert der nicht zuvor in der Schule der heiligen Zerknirschung fleißig sich geübt hat. 

Soll dein harter Sinn erweicht / dein verschlossenes Herz wieder aufgetan werden / so geh in deine Kammer und lass den Tumult der Welt nicht hinein. 

Wie die Schrift sagt: in euern Kammern redet mit eurem Herzen / bis sie wund und weich werden.

Dann geschah etwas Unbeschreibliches. 

Meine Frau und ich fuhren zum Baumarkt, um Material für die Renovierung zu kaufen. Als ich das Geschäft betrat, überkam mich plötzlich ein starkes Liebesgefühl

Ich empfand eine ungewöhnlich tiefe Liebe für alle Menschen – am liebsten hätte ich alle in den Arm genommen.

Es dauerte nicht lange, bis die Menschen darauf reagierten. Eine Verkäuferin sagte mir, sie werde sehr traurig sein, wenn meine Renovierung abgeschlossen sei und ich nicht mehr komme. Es entwickelte sich ein langes, sehr persönliches Gespräch – etwas, das in einem Baumarkt eher ungewöhnlich ist. An einem Ort, an dem Handwerker ihr Material besorgen, geht es sonst eher rau zu.

Das Erstaunliche an dieser Erfahrung war: 

Diese Liebe, die ich empfand, kam nicht aus mir selbst.

Ich fühlte sie zwar in meinem Herzen, aber es war kein gewöhnliches Gefühl. Sie hatte eine außergewöhnliche Intensität, und ich fühlte mich von ihr ergriffen. 

2.6.6 Das Prinzip der Reue

Reue ist der wirkungsvollste Schritt, um die Gnade Gottes zu empfangen. Gott braucht unsere Reue nicht, weil er sonst nicht vergeben könnte. Er will uns auch nicht kleinmachen. 

Seine einzige Motivation ist es, uns reich zu beschenken. 

Ob wir es verdient haben oder nicht, spielt keine Rolle – Gottes Liebe kennt keine Grenzen.

In der zuvor geschilderten Erfahrung wurde deutlich, dass Gott mir seine Gnade schenken wollte. 

Er wollte seine Liebe in mein Herz legen. 

Doch ich war noch nicht offen und bereit dafür. 

Ich glaubte, ein liebevoller Mensch zu sein, weil ich mich oft bemühte, liebevoll zu sein und andere nicht zu verletzen.

Es brauchte jedoch eine innere Vorbereitung, um diese Gnade empfangen zu können. 

Diese geschah durch die Reflexion meiner eigenen Lieblosigkeit in vielen Situationen. Dann folgte der entscheidende Schritt: 

Ich musste annehmen, was Gott mir zeigte. 

"Ja! Es ist wahr, dass ich oft lieblos bin."

Erst durch dieses Annehmen entstand die Traurigkeit über meine eigene Lieblosigkeit – das Gefühl der Reue.

Reue ist ein ganz natürliches Gefühl, das aufkommt, wenn wir erkennen, dass wir etwas getan haben, das nicht gut war. Sobald wir es an unser Herz heranlassen - und das ist die wichtigste Voraussetzung - wird unser Herz darüber traurig. 

Diese Traurigkeit eines offenen, aufrichtigen Herzens ist Reue. 

Und genau dieses Herz braucht Gott, um uns seine Gnade zu schenken.

Die Schritte sind also folgende:

  1. Schmerzhafte Selbsterkenntnis zulassen
  2. Die gezeigte Wirklichkeit annehmen
  3. Das Gefühl der Reue zulassen
  4. Die Gnade empfangen

Schlussendlich kann man sagen, dass man sich freuen kann, wenn einen etwas zur Reue führt. Es ist ein Zeichen dafür, dass ein großes Geschenk für uns bereitliegt. 

Es braucht nur einen kleinen Schritt unsererseits, um es zu empfangen.

2.6.7 Wiederherstellung durch Wiedergutmachung

Laut christlicher Vorstellung hat ein Ereignis, das als Sündenfall bezeichnet wird, am Anfang der Menschheitsgeschichte ein Problem verursacht. Seitdem sind wir Menschen nicht mehr von Natur aus in einer unmittelbaren Nähe zu Gott. 

Der Weg, den die Menschheit zurück zu Gott gehen muss, wird als Wiederherstellung bezeichnet.

Auf diesem Weg wirkt das Prinzip der Wiedergutmachung

Es besagt, dass der Mensch, um zu Gott zurückzukehren, etwas opfern muss. Im Alten Testament wurden materielle Dinge wie Tiere geopfert. In der asketischen Praxis geschieht dies beispielsweise durch Fasten. Auf dem inneren Weg vollzieht sich das Opfer oft in Form eines Prozesses, der mit einer Zeit des Leidens verbunden ist.

Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

Quelle
Markus 8,34

Im Göttlichen Prinzip wird dies wie folgt erklärt: Eine Person, die Verantwortung für die Wiederherstellung übernimmt, muss über eine gewisse Zeit eine Bedingung erfüllen – oft mit symbolischen Zeiträumen mit der Zahl 40 oder 21. Dafür gibt es zahlreiche biblische Beispiele, etwa die 40 Tage des Fastens von Mose oder Jesus.

Das Prinzip der Wiedergutmachung im Buddhismus

Auch im Buddhismus ist das Prinzip bekannt, dass der mystische Weg zur Erleuchtung durch schwierige Perioden und leidvolle Erfahrungen führt.

Der Achtfache Pfad bietet die Praxis zur Befreiung, die oft mit Entsagung, Achtsamkeit und innerer Disziplin verbunden ist. 

Meditation und Selbsterkenntnis spielen dabei eine zentrale Rolle, um die wahre Natur der Existenz zu erkennen und endgültig aus dem Kreislauf des Leidens auszubrechen. 

ChatGPT

Sharon Salzberg, eine bekannte amerikanische buddhistische Lehrerin, beschreibt, wie befreit sie sich fühlte, als sie erkannte, dass Leiden zum Weg gehört. Nicht weil wir etwas falsch machen oder unwissend sind, müssen wir leiden – nein, 

Leiden ist ein wesentlicher Bestandteil des Weges.

Wiederherstellung durch Wiedergutmachung in der Meditation

Das Prinzip der Wiederherstellung durch Wiedergutmachung kann auf dem Weg der Meditation und des Gebets direkt erfahren werden. 

Leiden äußert sich in Phasen, in denen man durch Zustände geht, die unangenehm bis schmerzhaft sein können.

Es beginnt mit den automatischen Gedanken, die unser Bewusstsein immer wieder vereinnahmen, unangenehmen Empfindungen und Gefühlen bis hin zur Wahrnehmung einer geistigen Atmosphäre, die bedrückend sein kann.

Die christlichen Glaubensväter beschreiben, wie Dämonen ihnen ständig Gedanken einflößen und sie mit Versuchungen quälen. Erst wenn sie dies standhaft durchgestanden haben, erfahren sie die Gnade himmlischer Tröstungen wie Glückseligkeit, Liebe und Freude.

Den großen Geschenken der Gnade und mystischen Erfahrungen geht meist eine Phase innerer Leere und unangenehmer Zustände im Gebet voraus.

Die „dunkle Nacht der Seele“ wurde bereits als eine der großen Wiedergutmachungsperioden erwähnt. Doch es gibt auch kleinere Phasen von nur wenigen Wochen oder Tagen. Jede Meditation beginnt häufig mit einer unangenehmen Zerstreuung, die uns nach einer Weile in einen angenehmen, klaren und offenen Zustand führt. Tiefe Meditationszustände sind immer mit innerer Freude verbunden. 

Zu dieser Transformation müssen wir jedoch eine gewisse Art von Leiden durchleben.

Die Bereitschaft zu leiden spielt eine entscheidende Rolle.

In der Meditation erleben wir Empfindungen und Zustände unmittelbar und bewusst. Im Alltag hingegen versuchen wir oft, uns schnell abzulenken. In der Meditation jedoch gehen wir mit vollem Bewusstsein in diese Zustände hinein.

Wir erleben aber auch, dass das Unangenehme sofort seinen Schrecken verliert und seine Qualität verändert, sobald wir ihm mit Achtsamkeit begegnen und unsere Aversion dagegen aufgeben. Eine zuvor sehr unangenehme Körperempfindung, wie eine schmerzhafte Anspannung, wird dadurch zu einer neutralen Empfindung von Spannung. 

Durch die Bereitschaft zu leiden verringert sich das Leiden.

So gesehen ist die Bereitschaft zu leiden das kraftvollste Mittel, um das Leiden zu überwinden.

2.6.8 Die Gnade Gottes

Gottes Gnade ist eine unbeschreibliche, reale Kraft, an die wir durch den religiösen Weg anknüpfen können. 

Sie ist eine Ressource, die es in der Psychotherapie nicht gibt. Im Grunde ist es erst die Gnade, die den Weg zu Gott überhaupt möglich macht. Wie schwierig wäre es, wenn wir die ganze Veränderung allein bewirken müssten?

In der Psychotherapie arbeitet man daran, sich Verhaltens- und Reaktionsmuster bewusst zu machen, um anschließend neue Muster zu entwickeln. 

Das ist mühsame Kleinarbeit. Auch in einem wahrheits- oder ethikfokussierten religiösen Leben reflektieren wir uns selbst und bemühen uns, uns zu verbessern. 

All das ist wertvoll, und wir sollten diese Möglichkeiten nutzen. 

Doch erst die Gnade Gottes bringt uns zu unserem wahren menschlichen Potenzial.

Als Kinder Gottes sind wir nicht auf uns allein gestellt 

– wir werden zum Objekt seiner Gnade. 

Unsere wesentliche Aufgabe ist es, uns dafür zu öffnen. Der mystische Weg führt uns auf direkte Weise in die Erfahrung der göttlichen Gnade.

Das aufrichtige Herz das Gott sucht

Das Wichtigste im religiösen Leben ist ein aufrichtiges Herz, das sich nach Gott sehnt – denn diese Sehnsucht selbst ist Liebe zu Gott. 

Dieses Herz führt uns zurück zu ihm. 

Durch den Gebetsweg finden wir wieder Zugang dazu. Genau dieses Herz treibt Mystiker an, ihren Weg zu gehen. Es gilt, diese Liebe in uns neu zu entdecken und unser Herz dafür zu öffnen.