Achtsamkeit ist im ersten Schritt das konsequente, bewusste Wahrnehmen. Hier bleiben wir mit der Aufmerksamkeit bei den sinnlichen Wahrnehmungen.
Moderne, im medizinischen Kontext eingesetzte Achtsamkeittrainings, wie z.B. MBSR begnügen sich mit der sinnlichen Wahrnehmung. Hier wird bewusst die religiös-spirituelle Geisteshaltung entfernt, die bei den ursprünglichen, z.B. im Zen-Buddhismus, praktizierten Formen sehr zentral sind. Schon dies alleine hat, wie wissenschaftlich erwiesen, eine psychisch stabilisierende, stressabbauende und angstreduzierende Wirkung.
Achtsamkeit und Liebe
Wenn wir etwas lieben, dann schenken wir ihm unsere Aufmerksamkeit. Ohne etwas oder jemanden unsere Aufmerksamkeit zu schenken, können wir nicht glaubwürdig behaupten, dass wir das Objekt oder den Menschen lieben. Aufmerksamkeit ist also ein erster Schritt, um Liebe auszudrücken.
Die Beziehung zu unserem Körper und unserem Physischen Gemüt, wird wieder richtiggestellt, wenn das Geistige Gemüt die Subjektposition gegenüber dem Physischen Selbst einnimmt. Unser achtsames Bewusstsein, dass ich dem Geist zuordne, sollte also in eine liebende Haltung gehen. Nur so können sich der Körper und das Physische Gemüt geliebt fühlen und sich dauerhaft freiwillig in die Objektposition begeben.
Die letztendliche Geist-Körper-Einheit ist zwar nur nach der vollzogenen persönlichen Revolution des Herzens möglich. Jedoch müssen wir gleich von Anfang an mit dem Prinzip der Liebe beginnen. Nicht nur das Ziel ist Liebe, auch der Weg ist Liebe. Daher ist die Geisteshaltung bei der Übung der Achtsamkeit entscheidend.
Die Geisteshaltung bei der liebevollen Achtsamkeit
1. Liebevolle Annahme gegenüber dem was ist und wie es ist
Wenn wir uns auf unsere Entwicklung konzentrieren, wollen wir uns meist verändern. Es steckt meist eine gewisse Unzufriedenheit mit dem derzeitigen Zustand dahinter. Das schlägt sich dann oft auch in einer Geisteshaltung der Unzufriedenheit mit uns selbst nieder. Wohingegen das Streben nach Veränderung und Verbesserung sehr positiv ist, kann die Geisteshaltung der Unzufriedenheit, Ungeduld bis hin zur Selbstablehnung sehr kontraproduktiv sein.
Das Essenziellste was dem Menschen fehlt, ist die Erfahrung von Liebe. Daher ist es wichtig, eine innere Atmosphäre der Liebe zu schaffen. Liebe schließt uns selbst nicht aus.
Mit einer Haltung uns selbst gegenüber in dem Sinne: "Dir faulem Sack werde ich in den Hintern treten, damit du andere lieben lernst", können wir keine Liebe verwirklichen. Hier neigen wir dazu, alles, was unerwünscht ist, zu verdrängen und nur zuzulassen, was uns an uns gefällt.
In der therapeutischen Praxis konnte ich immer wieder erleben, dass die liebevolle Annahme ein Katalysator für Veränderung ist. Oder wenn wir als Eltern unseren Kinder eine grundsätzliche Annahme vermitteln, dann wollen sie von selbst besser werden. Dabei können wir sie dann liebevoll unterstützen und gegebenenfalls auch fordern. Genauso funktioniert es auch mit unserem Physischen Selbst.
2. Herstellen einer liebevollen inneren Atmosphäre
Die Geisteshaltung der liebevollen Achtsamkeit geht noch darüber hinaus. Das Ursprüngliche Gemüt des Menschen beinhaltet die gesunde menschliche innere Haltung. Diese ist von Dankbarkeit, Demut, dem Wunsch andere lieben, alles zu geben und sich einem höheren Zweck und Gott hinzugeben, geprägt. Dies ist die Haltung, die mit dem innersten Kern des Menschen, dem Herz, im Einklang ist und es ist die Haltung, die uns und unser Herz öffnet.
Liebevolle Achtsamkeit bedeutet auch, dass wir uns bewusst und sanft in diese Haltung lenken.
Der Lehrer, der euch am nächsten steht, ist euer eigenes, ursprüngliches Gemüt. Euer ursprüngliches Gemüt ist wertvoller als euer engster Freund, ja sogar wertvoller als euer Vater oder euere Mutter. Ihr solltet lernen, auf das zu hören, was euer ursprüngliches Gemüt euch sagt. Diesen Zustand müsst ihr erreichen. Der buddhistische Ausdruck wäre, dass ihr euere innere Natur reinigen müsst.
Ich nenne die Achtsamkeit mit der beschriebenen Geisteshaltung "liebevolle Achtsamkeit".
Achtsamkeit und Selbstliebe
Durch die Achtsamkeit kommt man voll und ganz in den Körper. Alles, was wir mit unseren physischen Sinnen wahrnehmen, wird über den Körper wahrgenommen. Wenn wir mit unserem Bewusstsein immer da sind, dann schenken wir gleichzeitig unserem Körper und unserem Gemüt ständige Aufmerksamkeit. Das Besondere ist, dass wir dies auch tun, wenn wir uns vollständig auf andere Menschen einlassen und für sie da sind. Hier vereinen sich Selbstliebe und Nächstenliebe ganz praktisch.
Selbstliebe wird oft zu einfach verstanden. Dass ich nur tue, was mir gut tut, dass ich, bildlich gesehen, das halbe Leben im Wellnesshotel verbringe und meine Bedürfnisse wichtiger nehme, als die anderer. Das bringt jedoch keine wirklich tiefe Befriedigung, weil es in einer selbstbezogenen Haltung stattfindet, die der ursprünglichen menschlichen Natur widerspricht.
Selbstliebe ohne Selbstbezogenheit
Liebevolle Achtsamkeit ist vollkommen anders. Die Aufmerksamkeit, die mir dadurch zuteil wird, dass ich immer da bleibe und bewusst in meinem Körper bin, vermittelt eine tiefe Selbstliebe, ohne dass es den Hauch von Selbstbezogenheit hat. Wie groß ist oft das Bedürfnis, gehört, gesehen und wahrgenommen zu werden? Wir brauchen die Aufmerksamkeit von anderen Menschen. Der Grund liegt auch darin, dass wir selbst meist abwesend sind und den Kontakt zu uns selbst verloren haben. Durch die liebevolle Achtsamkeit wird dieses Bedürfnis befriedigt, indem wir immer da und bei uns sind. Indem wir in uns die liebevolle Atmosphäre kreieren, leben wir in dieser inneren Umgebung und strahlen dies aus. Diese Form der Selbstliebe wird zum Sprungbrett für die Nächstenliebe.