2.3 Die Betrachtung einiger Herangehensweisen

2.3 Die Betrachtung einiger Herangehensweisen

Bevor wir auf die uns mit dem Veränderungsprozess im Detail auseinandersetzen, möchte ich in diesem Kapitel einige vorwiegend aus den christlichen Kontext bekannte Methoden und Phänomene aufgreifen und mit den vertieften Verständnis der erklärten Modellen betrachten.

Vielfach werden in der Praxis Methoden und Herangehensweise übernommen, ohne die inneren Prozesse zu verstehen. Das führt zum einen dazu, dass diese Methoden ungezielt oder mit unrealistischen Erwartungen eingesetzt werden und die erwünschte Wirkung ausbleibt. Zum anderen werden Methoden aus mangelnden Verständnis über ihre Bedeutung vernachlässigt. 

Thomas Schuh

2.3.1 Selbstdisziplin und Geist-Körper-Einheit

2.3.1 Selbstdisziplin und Geist-Körper-Einheit

Selbstdisziplin könnte man als die Einheit von Verstand, Willen und Körper bezeichnen. Wenn Motivation dabei ist, ist das Gefühl auch mit enthalten.

Wir haben auf der Seite "Begriffe Geist und Körper" besprochen, dass das Gemüt des gefallenen Menschen keinen geistigen Anteil beinhaltet bzw. dass das Geistige Gemüt nicht zum Tragen kommt. Daher kann die Selbstdisziplin eines gefallenen Menschen noch keine Geist-Körper-Einheit sein.

Das Konzept von Selbstdisziplin sagt nichts darüber aus, ob der Geist und das Herz dahinter steht.

Bei Selbstdisziplin kann Folgendes der Fall sein:

  • Herz und Gefühl können vollkommen ausgeschlossen sein
  • Sie kann für gute und destruktive Zwecke eingesetzt werden
  • Sie ist auch ohne Spiritualität möglich
  • Sie ist noch kein spirituell höherer Zustand und führt nicht zwangsläufig dort hin

Beim vollkommenen Menschen ist das Gemüt im Zustand des Ursprünglichen Gemüts. Dort ist das Geistige Gemüt in der Subjektpostion gegenüber dem Physischen Gemüt. Hier ist die Einheit von Gemüt und Körper gleichzeitig auch die Einheit von Geist und Körper. Zweifellos können wir sagen, dass ein Mensch mit Geist-Körper-Einheit Selbstdisziplin besitzt.

 

Thomas Schuh

Selbstdisziplin als Methode

Um Veränderungen zu erzielen, ist fast immer Selbstdisziplin nötig. Somit dient die Selbstdisziplin als wichtige zu erlernende Fähigkeit, die man sich am Besten schon im Jugendalter aneignet.

Selbstdisziplin als Vorstufe

Steht ein vom Herzen motivierter Beweggrund hinter den verfolgten Zielen, dann könnte man diese Form der Selbstdisziplin als Vorstufe der Geist-Körper-Einheit ansehen.

Ohne ein erwecktes Geistiges Gemüt, ein aktives Herz und eine reale Beziehung zu Gott - sprich, ohne wahre Liebe ist wirkliche Geist-Körper-Einheit jedoch nicht möglich.

Der Ursprung der wahren Einheit, in der Gemüt und Körper nicht in Konflikt sind, beginnt mit dem Erben und Erleben von Gottes wahrer Liebe.

S. 2479 Abs. 3

Die Gefahr

Wenn wir Geist-Körper-Einheit als Selbstdisziplin verstehen, besteht die Gefahr, dass zu wenig Augenmerk auf Spiritualität gelegt wird. Bleiben Menschen auf dieser Stufe stehen, kehrt kurz oder lang Frustration ein. Erst wenn wir uns für die Wahre Liebe öffnen, indem wir unsere Spiritualität entwickeln, erleben wir auch die spirituelle Kraft und Freude. Dies kann auch das höchste Maß an Selbstbeherrschung nicht ersetzen.

 

2.3.2 Die Bedeutung der Askese

2.3.2 Die Bedeutung der Askese

Um die Dominanz des Physischen Gemüts zu schwächen und das Geistige Gemüt zu stärken, wird von den meisten Religionen Askese praktiziert.

Den Begriff Askese könnte man wie folgt definieren:

Freiwillige Enthaltsamkeit und Selbstkontrolle mit dem Ziel eines geistigen Fortschritts. Hierzu wird auf Bequemlichkeiten und Bedürfnisse des Körpers verzichtet wie z.B. durch Fasten, früh aufstehen und sexuelle Enthaltsamkeit.

Sun Myung Moon spricht viel über dieses Thema und stellt aber auch den Zweck und die Grenze dar.

Thomas Schuh

if you intentionally increase the force of your conscience beyond the force of your body, your body will follow it. If you cannot, you had better decrease your body’s force through fasting and asceticism.

P. 1519, par. 5

Hier wird deutlich, dass das eigentliche Ziel ist, die Kraft des Gewissens (1) bzw. des Geistes zu stärken. Weiter heißt es, wenn wir dies nicht schaffen, ist es besser die Dominanz des Physischen Gemüts zu schwächen.

Es ist also der Plan B, wenn wir Plan A, den Geist zu stärken und das Geistige Gemüt zu erwecken, nicht schaffen. Oder es ist eine Phase, in der Askese im Vordergrund steht, worauf dann die Phase folgt, in der das Stärken des Geistes im Vordergrund steht.

Then how can they be brought into unity? There are two ways of doing so. First, find the fundamental truth, achieve an attitude of absoluteness with a strong faith and an unchanging mind, and thus weaken the body. In short, practice asceticism.

933/3579

Auch hier wird von 2 Wegen gesprochen, wobei den Geist zu stärken der primäre Weg ist.

After a man and a woman have fulfilled their goal and completely achieved the standard of morality, they can become one. This is why in the Last Days the era of the power achieved through asceticism will come to an end...

933/3579

In diesem Zitat wird angekündigt, dass die Zeit, in der Askese eine Rolle spielt, zu Ende geht.

Der Anspruch eines moralischen Standards ist jedoch für das geistige Leben essenziell und bleibt bestehen. Ein Mensch mit einem liebenden Herzen kann seinen Partner nicht verletzen und ihn betrügen oder ihn verlassen. Ein reifer Mensch braucht dafür keine Regel, da sein Herz ihn nicht destruktiv handeln lässt.

Is there anyone who likes to practice asceticism? Is there anyone in this world who enjoys carrying out ascetic practices? Out of the thousands and tens of thousands of practitioners, not one of them enjoys it. If there are millions of Buddhists, would there be even one among them who enjoys practicing asceticism? The answer is no.

This being the case, can the ideal possibly be realized by forcing people to perform an ascetic practice? This would be self-defeating. Since it is impossible to achieve the ideal by practicing asceticism even by force, the notion that you can reach perfection when being forced into it is absurd.

933/3579

Askese führt nicht zur Vollkommenheit. Es ist lediglich eine Methode, um die Dominanz des Physischen Gemüts zu reduzieren, wenn das geistige Fundament zu schwach ist.

I discovered that there is only one way to resolve the conflict between mind and body, and that is the way of true love.

P. 278, par. 5

Geist-Körper-Einheit ist nur möglich, wenn wir zur wahren Liebe finden und sie praktizieren.

Meine Schlussfolgerung über Askese

Zum einen ist Sexualmoral und Treue eine Sache des Herzens und muss von Praktiken wie Fasten differenziert werden. Sexualmoral ist also etwas, was wir als reife Menschen ohne Zwang und Regel einhalten, da es mit dem ursprünglichen menschlichen Wesen stimmig ist. Die wird sich in Ewigkeit nicht ändern.

Betrachten wir Methoden wie Fasten, die dazu dienen, das physische Gemüt zu schwächen. Diese Methoden sind höchstens zeitbegrenzt nötig, um eine Grundlage für das Erwecken des Geistigen Gemüts zu legen und um dem Geistigen Gemüt ein Chance zu geben, zum Vorschein zu treten. Das Ziel und der Hauptfokus sollte das Stärken des Geistes und das Erwecken des Geistigen Gemüts sein.

In unserem Geist-Körper-Einheit-Programm legen wir den Fokus auf das Erwecken des Geistigen Gemüts. Dies erfordert ohnehin eine große Selbstdisziplin, regelmäßig Studium, Meditation, Gebet und liebevolle Achtsamkeit zu praktizieren. Dabei liegt unser Fokus darin, eine Geisteshaltung der Wahren Liebe zu entwickeln und mit dem offenen Herzen reale Liebe zu erfahren und zu geben. Letztendlich zielt die ganze innere Arbeit darauf hin, ein aktives spirituelles Leben zu praktizieren und in den Flow der Wahren Liebe zu kommen.

 

 

1* Der Begriff Gewissen wie ihn Sun Myung Moon verwendet, entspricht nicht dem psychologischen Verständnis. Den ursprünglichen koreanischen Begriff yangshim 양심 würde man wörtlich als  "gutes Herz" oder "gutes Gemüt" übersetzen. Es ist vereinfacht ausgedrückt, der äußere Impulsgeber des geistigen Verlangens nach dem Guten.

2.3.3 Der Stellenwert von Wissen

2.3.3 Der Stellenwert von Wissen

Ohne geistiges Wissen, kann keine geistige Entwicklung stattfinden.

Zuerst ein einfaches psychologisches Beispiel. Nehmen wir an, wir würden die Namen unserer Gefühle nicht kennen. Im täglichen Leben erleben wir vielleicht 20 verschiedene Arten von Unwohlsein. Wenn wir diese nicht benennen können, dann können wir diese Empfindungen nicht zuordnen und nicht strukturieren. Es bleibt ein nebulöses Gebilde von vielen facettenreichen Empfindungen.

Viel schwieriger ist es, die komplexen geistigen Zusammenhänge nur anhand eigener Erfahrung zu erkennen. Das Wissen über innere und geistige Zusammenhänge gibt uns eine Struktur, durch die wir unsere Erfahrungen einordnen können. Wir haben einen Anhaltspunkt und können entsprechende Entscheidungen treffen. Anhand der Erfahrungen lernen wir wieder, unsere Entscheidungen zu reflektieren und gelangen zur Erkenntnis.

Thomas Schuh

Für den gefallenen Menschen bedeutet Wissen das Licht des Lebens, das ihm Kraft für einen Neubeginn gibt, während Unwissenheit für ihn der Schatten des Todes und der Rand des Abgrunds ist.

S. 11 Abs. 2

Aus Unwissenheit können keine wahren Gefühle erwachsen, und bei fehlendem Wissen und mangelnder Emotion kann ein Wille zum Handeln nicht entstehen.

S. 11 Abs. 2

Studium innerer Wahrheit und geistiger Schriften

Das Wissen über geistige Zusammenhänge ist der Beginn der geistigen Entwicklung. Jeder Beruf beginnt mit einer Ausbildung, alle Religionen haben ihre Schriften und studieren sie.

Erwecken des Geistigen Gemüts durch das Prinzip der Resonanz

Um das Geistige Gemüt zu erwecken, ist das Studium geistiger Schriften äußerst wichtig. Menschen, die ein Erwachen ihres Geistigen Gemüts erlebt haben, wissen, dass das Geistige Gemüt große Freude über geistige Wahrheit empfindet. Durch das Studium bringen wir etwas in unserem Geistigen Gemüt zum Schwingen. Durch das Prinzip der Resonanz wird das Geistige Gemüt angeregt und aktiviert.

2.3.4 Christliche Neugeburt und das Erwachen des Geistigen Gemüts

2.3.4 Christliche Neugeburt und das Erwachen des Geistigen Gemüts

Das Erlebnis der christlichen Neugeburt

Menschen, die zum Christentum bekehrt werden, erleben oft eine sogenannte Neugeburt. Bei diesem Phänomen erfahren die Betroffenen ein geistiges Sich-Öffnen. Sie fühlen intensive Gefühle, erleben große Freude beim Studium spiritueller Wahrheit und spüren eine tiefe Verbundenheit in der Gemeinschaft.

Das Erwachen des geistigen Gemüts

Dies könnte rein psychologisch durch das zwischenmenschliche Sich-Öffnen erklärt werden, wodurch eine Bindung zu der christlichen Gemeinschaft entsteht. Das Erlebnis geht jedoch über dieses Bindungsphänomen hinaus. Es öffnet sich auch die geistige Empfindsamkeit. Es kommt zu einer Aktivierung von spirituellen Bedürfnissen und Empfindungen. Anders ausgedrückt, erwacht und öffnet sich das Geistige Gemüt.

Die Freude an der Wahrheit zeigt, dass ein spirituelles Bedürfnis befriedigt wird, das vorher meist gar nicht bewusst war. Das Bedürfnis nach spiritueller Wahrheit ist ein Bedürfnis des Geistigen Gemüts. Die Menschen spüren zudem die geistige Atmosphäre in der Gemeinschaft. Das geht über das zwischenmenschliche Sich-Öffnen hinaus und ist durch das Erwachen des Geistigen Gemüts möglich. Die geistige Empfindsamkeit ist in diesem Zustand erhöht. Außerdem entsteht der Wunsch, andere Menschen zu lieben und sich für einen höheren Zweck einzusetzen. Zusätzlich werden auch tatsächlich geistige Ressourcen frei. Menschen kommen aus den inneren Impulsen des Herzens in die Lage, echte Nächstenliebe zu leben.

Faszinationsphase und Reifezustand

In der Psychologie werden im Verlauf zwischenmenschlicher Beziehungen verschiedene Phasen beobachtet und beschrieben.

Am Beispiel einer Paarbeziehung kennen wir die erste Phase, die Faszinationsphase oder im Volksmund Verliebtheitsphase genannt. Wir alle wissen, dass diese Phase nicht anhält, sondern in eine Ernüchterungsphase mündet. Über einen langen Prozess der Beziehungsreifung gelangen Paare zu einem Reifungszustand oder zu einer reifen Liebe. Die Faszinationsphase ist wie ein Vorgeschmack dafür, wie sich eine reife Liebe anfühlt. Die reife Liebe erfordert jedoch das erfolgreiche Durchlaufen eines langen Prozesses. Die reife Liebe wird von Betroffenen im Vergleich zur Faszinationsphase als tiefer, vertrauter und schöner beschrieben. Man ist mehr auf dem Boden und in sich zentriert, empfindet gleichzeitig tiefe Liebe für den anderen. Auf dem Weg zum Reifezustand sind wiederkehrende Faszinationsphasen möglich, die immer mehr dem Reifezustand nahe kommen.

Während man die Gefühle in der Faszinationsphase ohne eigenes Zutun praktisch geschenkt bekommt, ist für den Reifezustand ein erfolgreiches Durchschreiten aller Phasen nötig.

Faszinationsphase und Reifezustand im spirituellen Leben

Auch die christliche Neugeburt ist eine Art Faszinationsphase, die jedoch ein Sich-Öffnen für die Spiritualität miteinschließt. Auch diese Phase geht zwangsläufig vorüber. Mit der Ernüchterungsphase beginnt ebenso ein langer Prozess, der zur spirituellen Reifung führen soll.

Viele Menschen können diesen Prozess jedoch nicht erfolgreich durchschreiten und erleben keine weiteren Faszinationsphasen mehr. Hier wird es nötig, gezielt an der spirituellen Reifung und der Wiedererweckung des Geistigen Gemüts zu arbeiten. Hierdurch können die Voraussetzungen geschaffen werden, dass sich das Geistige Gemüt wieder öffnet und wach wird. Damit werden die spirituellen Bedürfnisse und Ressourcen wieder aktiv.

Theologisch gesehen geht die Neugeburt noch weit über diese Darlegung hinaus. Wir belassen es jedoch an dieser Stelle mit der erfahrungsorientierten Betrachtung.

Thomas Schuh