Wir beginnen zunächst mit einer philosophischen Betrachtung.
Im Buddhismus bedeutet die Überwindung des Egos, die Illusion eines festen Selbst zu durchschauen und egozentrische Anhaftungen loszulassen. Durch Achtsamkeit, Weisheit und Mitgefühl löst sich die Identifikation mit vergänglichen Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen auf. Dies führt zu innerer Freiheit und letztlich zur Befreiung im Nirvana.
Die buddhistische Vorstellung einer vollständigen Auflösung des festen Selbst oder des „Ich“ ist für viele schwer zu verarbeiten. Zudem scheint sie im Widerspruch zum christlichen Verständnis einer ewig lebenden Seele zu stehen, die Verantwortung trägt und nach dem Prinzip von Saat und Ernte lebt. Auch gemäß dem Göttlichen Prinzip existieren wir ewig in der Geistigen Welt weiter. Der Mensch bleibt also eine bleibende Entität mit Verantwortung. Gleichzeitig aber werden wir erst als Paar zum Abbild Gottes und erweitern uns als Familie bis hin zur gesamten Menschheit. Im Laufe der spirituellen Entwicklung löst sich das egozentrierte Bewusstsein auf.
Der Buddhismus unterscheidet zwischen dem wahren Wesen und dem Ego. Im Göttlichen Prinzip entsprechen dem die Begriffe „ursprüngliches Gemüt“ und „gefallene Natur“, ähnlich wie im christlichen Sprachgebrauch. Das Göttliche Prinzip beschreibt vier Hauptaspekte der gefallenen Natur, die ihren Ursprung im Sündenfall haben. Da nur diese vier Hauptaspekte genannt werden, bleiben viele weitere daraus resultierende Aspekte unerwähnt. Der Buddhismus hingegen benennt 108 Trübungen und Befleckungen – darunter Gier, Hass und Verblendung –, die es zu überwinden gilt.
Egoismus und Selbstlosigkeit
In Religionen spielt die Entwicklung zu einem selbstloseren Menschen eine zentrale Rolle. Sie beschreibt die grundlegende Richtung, die eine echte spirituelle Entwicklung nehmen muss. Um diesen Prozess in uns zu vollziehen, müssen wir zwischen Selbstbezogenheit und Selbstlosigkeit unterscheiden. In der Praxis finde ich das jedoch oft schwierig.
Ein Säugling ist maximal selbstbezogen, doch wir erwarten, dass Menschen im Laufe ihrer Entwicklung zunehmend ans Gemeinwohl denken und dafür leben. Aber wie lassen sich Selbstlosigkeit und Selbstbezogenheit im Detail unterscheiden? Auch viele soziale Aktivitäten befriedigen unsere eigenen Bedürfnisse: Wir suchen positive Rückmeldungen, Anerkennung, Wertschätzung, wollen nicht alleine sein oder Teil einer Gemeinschaft sein. Sozial engagiert zu sein bedeutet also nicht zwangsläufig, selbstlos zu sein. Deshalb müssen wir unsere Motivation stets reflektieren und hinterfragen.
Es gibt jedoch eine Ausnahme, in der der Versuch, selbstloser zu werden, nicht hilfreich ist: Menschen, die in der Phase der Sozialisierung innerhalb der Familie zu früh zu viel Verantwortung übernommen haben. Zum Beispiel, wenn wir aus Angst vor dem Zerbrechen der Familie begonnen haben, uns emotional um einen Elternteil zu kümmern. Dies kann zu einer ungesunden Bezogenheit auf andere führen. In solchen Fällen spüren wir stärker, was andere brauchen, und verlieren uns selbst aus dem Blick. Doch das ist kein gesunder Altruismus – es bleibt Teil des Egos. Dies sollte nicht verwechselt werden. Menschen mit einer solchen Psychodynamik müssen zuerst lernen, sich selbst zu spüren und mit sich in Kontakt zu kommen, bevor sie zu Gott finden können. Hier würde der willentliche Versuch, selbstloser zu werden, lediglich die bestehende Psychodynamik verstärken und nicht aus der Ego-Identifikation herausführen.
Das Göttliche Prinzip stellt klar, dass der Zweck des Ganzen grundsätzlich den Zweck des Einzelnen mit einschließt. Bis zu einem gewissen Grad sind Selbsterhalt und Vitalität also Teil der ursprünglichen Natur. Doch der religiöse Weg führt uns dazu, das ursprüngliche Gemüt zu befreien und zu beleben, sodass es zur primären Motivation unseres Seins wird.
Der Fokus auf den Erfahrungsprozess
Da es mir vor allem um den Erfahrungsprozess geht, belasse ich es bei dieser unvollständigen philosophischen Betrachtung. Wissen allein hilft uns nur, wenn wir es in uns selbst erkennen und die Transformation tatsächlich vollziehen. Daher beschreibe ich im Folgenden die Sichtweise, die mir geholfen hat, und die Transformation, die ich durchlaufen durfte.
In der Praxis empfinde ich die Unterscheidung zwischen wahrem Wesen bzw. ursprünglichem Gemüt und Ego bzw. gefallener Natur als äußerst hilfreich.