2.7.2 Exkurs: Unsterblichkeit der Seele, Reinkarnation und Karma

Mit den Gedanken zur Auflösung des Egos berühren wir bedeutende spirituelle Fragen, die ich in diesem Exkurs behandeln möchte. Dazu werde ich verschiedene Perspektiven unterschiedlicher Religionen zu den Themen Unsterblichkeit der Seele, Reinkarnation und Karma gegenüberstellen. 

Mir geht es zum einen darum, über den Tellerrand hinauszublicken, zum anderen darum, die Herkunft von Glaubensinhalten aufzuzeigen.

Es macht mich manchmal traurig, dass viele Menschen im Westen von kommerziellen Lehrern angezogen werden, die altes Wissen lediglich neu verpacken – oft, weil sie die wahren Schätze der großen Religionen nicht kennen. 

Ich habe meine Zweifel, ob sie dort wirklich konsequent zu Gott geführt werden. Denn die unpopulären Aspekte des spirituellen Weges - wie Demut, Reue und Wiedergutmachung - bleiben in solchen Angeboten meist außen vor. Doch es führt kein Weg zu Gott, der daran vorbeigeht.

Gleichzeitig möchte ich nicht verurteilen, wer durch moderne spirituelle Angebote erste Berührungspunkte findet. Jeder Weg beginnt irgendwo - und manchmal führt ein oberflächlicher Einstieg letztlich doch in größere Tiefe. 

Entscheidend ist, dass wir uns immer wieder fragen, ob wir der Wahrheit näherkommen, ob unser Herz sich wandelt und ob wir wirklich bereit sind, auch den unbequemen Teil des Weges zu gehen. 

Wer aufrichtig sucht, wird früher oder später die Tiefe entdecken, die echte spirituelle Traditionen bereithalten.

Unsterblichkeit der Seele, Reinkarnation und Karma im Buddhismus

Der Buddhismus geht in seiner Sichtweise der Auflösung des Egos noch einen Schritt weiter: Es gibt kein dauerhaftes Selbst und keine unsterbliche Seele, die von Leben zu Leben wandert – und somit auch keine bleibenden Geistwesen.

Wiedergeburt wird durch das Gesetz des Karma erklärt – die Wirkungen von Taten, Worten und Gedanken. Diese hinterlassen eine Art energetische Spur, die nach dem Tod weiterwirkt. Man kann es sich wie eine Kerzenflamme vorstellen, die eine neue Kerze entzündet: Die Flamme ist nicht dieselbe, aber durch Ursache und Wirkung verbunden. 

Die Ahnenverehrung im Buddhismus scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zum Glauben an die Nicht-Existenz einer ewig bestehenden Seele zu stehen. Da es im Buddhismus kein dauerhaftes Selbst gibt, existieren die Ahnen nicht als seelische Persönlichkeiten in einer geistigen Welt.

Verehrt wird vielmehr die spirituelle und kulturelle Verbundenheit mit den Vorfahren – ein Ausdruck von Dankbarkeit und Respekt. Dabei fließen auch kulturelle und konfuzianische Einflüsse mit ein.

Die Vorstellung einer vollständigen Auflösung des Selbst und die buddhistische Lehre von der Nicht-Existenz einer unsterblichen Seele ist für viele Menschen schwer nachvollziehbar. 

Ich persönlich kann diese Vorstellung insofern einordnen, als sie aus der mystischen Erfahrung des Buddha hervorgegangen ist. In dieser Erfahrung erlebte er die vollkommene Einheit und die Auflösung des persönlichen, individualistischen Ichs, was ihn zur vollkommenen Freiheit führte. 

Um Menschen auf dem Weg zur Erleuchtung zu begleiten, kann diese zutiefst mystische Perspektive hilfreich sein, da sie hilft, individuelle Anhaftungen konsequent loszulassen. 

Es gibt auch buddhistische Schulen, die seelenähnliche Konzepte kennen und von zwischenzeitlichen Existenzbereichen in einer geistigen Welt ausgehen, die Himmel und Hölle ähneln.

Reinkarnation im Zen-Buddhismus

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Reinkarnation im Zen-Buddhismus kaum eine Rolle spielt. Die Praxis konzentriert sich ganz auf die direkte Erfahrung des gegenwärtigen Moments, auf Achtsamkeit, Zazen (Sitzmeditation) und die Auflösung des Ich-Gedankens im Hier und Jetzt. 

Viele Menschen, die in Japan mit Zen-Religionsunterricht aufgewachsen sind – wie etwa meine Frau –, berichten, dass Wiedergeburt dort nie thematisiert wurde. 

Im Zen geht es weniger um metaphysische Spekulationen, sondern darum, das eigene Denken zu durchschauen und unmittelbar zu erwachen.

Erinnerung an frühere Leben durch Tancemethoden

Im Westen gibt es Trancemethoden, mit denen sich Menschen an frühere Leben zu erinnern glauben.

Aus buddhistischer Sicht wären solche „Erinnerungen“ jedoch keine Rückschau eines ewigen Ichs, sondern Projektionen des Ego-Bewusstseins - letztlich also Illusionen.

Trancezustände, die Bilder und Vorstellungen über das Selbst hervorbringen, gelten grundsätzlich als Illusionen des Egos und nicht als spirituelle Einsichten, die zur Befreiung führen.

Im Hinduismus hingegen gilt die Seele (Ātman) als ewig und wird von Leben zu Leben wiedergeboren. Erinnerungen an frühere Leben sind hier grundsätzlich möglich, gelten aber als seltene Gnade oder als Ausdruck fortgeschrittener spiritueller Reife. 

Sie sind also aus hinduistischer Sicht nicht einfach durch Techniken wie Hypnose beliebig herbeizuführen.

Wiedergeburt und geistige Wiederkunft

Viele Menschen im Westen, die an Reinkarnation glauben, verbinden diese mit der Vorstellung einer unsterblichen Seele, die nach dem Tod in einem neuen Körper wiedergeboren wird – eine Idee, die vor allem aus dem Hinduismus stammt. 

Im klassischen Christentum selbst ist Reinkarnation jedoch nicht vorgesehen.

Auch das Göttliche Prinzip geht von einem einmaligen Erdenleben aus, in dem der Mensch durch gelebte Beziehungen geistig reift. Zudem entfaltet er sich als Paar zum vollständigen Abbild Gottes, was sich über die Familie hinweg bis zur gesamten Menschheitsfamilie ausdehnt.

Nach dem Tod setzt sich diese Entwicklung in der geistigen Welt fort - jedoch ohne körperliche Wiedergeburt. Der Mensch bleibt eine ewige Seele mit Verantwortung.

Im Göttlichen Prinzip gibt es keine körperliche Wiedergeburt, sondern eine geistige Wiederkunft. Dabei können Geistwesen durch eine spirituelle Beziehung mit auf der Erde lebenden Menschen weiterwachsen. 

Bedeutung des Körpers für geistiges Wachstum

Dieser Prozess basiert auf der Übertragung von Vitalitätselementen vom Körper zum Geist, die durch gute Taten der Lebenden übermittelt werden. 

Diese Vitalitätselemente sind für das grundlegende Wachstum des Geistes wichtig und notwendig, um seine Entwicklung auf einer höheren geistigen Ebene fortzusetzen.

Im Christentum ist der Körper ebenfalls wichtig für das geistige Wachstum, da er als Tempel des Heiligen Geistes betrachtet wird (1. Korinther 6,19). Der physische Körper wird als Werkzeug gesehen, durch das der Mensch Gottes Gebote ausführt und spirituelle Disziplinen wie Gebet, Nächstenliebe und Glaube praktiziert. 

Im Christentum geht es darum, den Körper in Einklang mit göttlichen Prinzipien zu bringen und in der physischen Welt nach Gottes Willen zu leben, um sich geistig zu entfalten und das ewige Leben zu erlangen.

Auch im Buddhismus und Hinduismus ist der Körper bis zu einer gewissen Stufe notwendig für das geistige Wachstum, da er dem Geist ermöglicht, durch Erfahrungen, Handlungen und Achtsamkeit zu lernen und sich zu entwickeln. 

Der physische Körper dient als Mittel, um Karma zu erfahren und spirituelle Lektionen zu erlangen, die für die Befreiung und Erleuchtung erforderlich sind.

Karma im Hinduismus

Im Hinduismus bedeutet Karma das Gesetz von Ursache und Wirkung auf moralischer Ebene: Jede Handlung – sei sie gut oder schlecht – hinterlässt eine Spur im Bewusstsein (Karmaspur) und beeinflusst das zukünftige Schicksal eines Menschen.

Karma wirkt über mehrere Leben hinweg: Die guten oder schlechten Taten eines Menschen bestimmen nicht nur das jetzige Leben, sondern auch zukünftige Wiedergeburten. Ziel ist es, durch gutes Karma spirituell zu reifen und letztlich Moksha – die Befreiung aus dem Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt (Samsara) – zu erreichen.

Je nach philosophischer Schule im Hinduismus löst sich die Seele nach der Befreiung (Moksha) entweder in das göttliche Absolute auf (Advaita Vedanta) oder lebt als individuelle Seele in ewiger Einheit mit Gott in der geistigen Welt weiter (Vishishtadvaita, Dvaita).

Entsprechung von Karma im Christentum

Auch im Christentum existiert ein geistiges Prinzip von Ursache und Wirkung. Es zeigt sich in der biblischen Lehre von Saat und Ernte – was ein Mensch sät, das wird er auch ernten (Gal 6,7). Gute oder schlechte Taten tragen geistliche Folgen, die sich nicht nur im irdischen Leben, sondern auch in der geistigen Welt nach dem Tod auswirken.

Weitergabe von Schuld und Segen auf die nächste Generation

Zudem kennt das Christentum die Vorstellung, dass Segen und Schuld durch die Erblinie weitergegeben werden. Die Nachkommen können unter den Folgen früherer Sünden leiden – oder am geistigen Erbe guter Vorfahren teilhaben. Dieses Prinzip ähnelt in seiner Wirkung dem karmischen Verständnis von übertragenem Verdienst oder Belastung durch die Ahnen.

Im Hinduismus gibt es auch eine Vorstellung davon, dass karmische Auswirkungen über Generationen hinweg wirken können, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne, und diese können durch Rituale oder spirituelle Praktiken verändert werden.

Im Buddhismus ist Karma individuell und es gibt keine direkte Lehre, dass Sünden oder negatives Karma von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden, obwohl das Umfeld durch das Verhalten der Vorfahren beeinflusst werden kann.

Gemeinsamkeiten verschiedener spiritueller Traditionen

Die Gemeinsamkeit, die wir in allen Religionen finden, ist, dass im Laufe der spirituellen Entwicklung das egozentrierte Selbst zu einem selbstloseren, in Liebe mit allem Verbundenen Wesen wird.

Das Leben geht nach dem Tod weiter - mit Ausnahme des Buddhismus - als eine unsterbliche Seele. 

Das Wachstum einer unvollständig entwickelten Seele geht weiter bis zur vollständigen Befreiung in der Einheit mit dem Göttlichen – sei es durch Wiedergeburt oder geistige Wiederkunft.

Entscheidend ist, dass es ein Ursache-und-Wirkungsprinzip gibt, und unser Handeln im Guten und Schlechten Folgen hat – sowohl für uns selbst als auch für unsere Nachfahren.

Die Einheit mit Gott und in der vollkommenen Liebe ist das zentrale Ziel aller Traditionen. 

Wie wir uns die Dinge im Detail vorstellen, ist von zweitrangiger Bedeutung, solange wir die zentrale Richtung im Blick behalten und auf diesem Weg vorankommen.

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