2.1. Der inner Weg und die Phänomene
Ich hatte auf meinem persönlichen Weg verschiedene Erfahrungen, die mir ein klares Bild davon vermittelt haben, wie der innere Prozess zur Einheit mit Gott aussieht. Ähnliche Erfahrungen wurden bereits vielfach von christlichen und buddhistischen Mystikern beschrieben. Dennoch habe ich nirgendwo eine so klare Beschreibung des gesamten Prozesses gefunden.
Was ich erleben durfte, ist bestimmt nur die erste Runde eines spiralförmigen Weges, der unendlich weiterführt. Ich selbst bin kein annähernd heiliger oder besonders guter Mensch. All diese Erfahrungen erhielt ich durch die Gnade Gottes. Meine Überzeugung ist, dass Gott mir diese Erfahrungen geschenkt hat, um sie weiterzugeben und in eine ausgewogene mystische Praxis einzuführen.
Mit „ausgewogen“ meine ich eine Praxis, die auf Nächstenliebe ausgerichtet ist. Manche mystischen Wege verlieren sich im Streben nach mystischen Erfahrungen und vergessen, dass es nur ein Ziel gibt – in der Nächstenliebe zu wachsen.
Ich hatte hierzu einmal einen Traum von einem Gespräch mit Sun Myung Moon. Der Traum war sehr real, farbig und scharf, so wie Träume es nur selten sind. Ich lag auf dem Boden neben ihm und sagte: „Mit Bewusstseinsentwicklung hast du wenig am Hut – oder?“ Er antwortete: „Nein, nur mit wahrer Liebe!“ Dann stand er auf und lehrte mich etwas über Familienbeziehungen.
Dieser Traum machte mir den richtigen Fokus noch einmal deutlich und dass mystische Praxis kein Selbstzweck ist. Sie muss uns dabei unterstützen, wahre Liebe in unseren Beziehungen zu verwirklichen. Mystische Praxis muss also im Alltag des Familienlebens und in einer modernen Gesellschaft möglich sein.
Die Bedeutung der Stille in einer reizüberladenen Welt
Andererseits ist mystische Praxis auch ein Heilmittel für unsere informationsüberladene, virtualisierte und mediendominierte Lebensweise. Wir Menschen brauchen einen Ausgleich, der uns wieder zur Ruhe bringt und uns mit uns selbst in Kontakt führt. Wir müssen zuerst wieder lernen, Ruhe ohne ständige Reize auszuhalten, um sie dann wieder genießen zu können.
Manchmal versucht man, junge Menschen durch viel Animation und Musikveranstaltungen für ein religiöses Leben zu motivieren. Das ist grundsätzlich gut. Dennoch habe ich erfahren, dass besonders junge Erwachsene sehr dankbar sind, wenn man ihnen den Weg in die Tiefe zeigt – zu einem fühlbaren Kontakt mit sich selbst und einem persönlichen Zugang zu Gott. Das darf in keinem Fall fehlen.
Phasen und Phänomene
Im Folgenden werde ich die Phasen des inneren Weges strukturiert darstellen. Während Phasen eine zeitliche Reihenfolge haben, können Phänomene in verschiedenen Phasen auftreten und lassen sich nicht eindeutig zeitlich einordnen.
2.2.a Phase 1: Der Anfang des Weges
Die Grundvoraussetzung für den Weg des Gebets ist die Fähigkeit, uns zu sammeln und zu zentrieren. Es geht darum, unsere persönlichen Gedanken, Gefühle und unser Wollen loszulassen, unser Gemüt zu beruhigen und in die Stille zu führen, um zu einem klaren Bewusstsein zu gelangen.
Solange unser Bewusstsein mit ständigem Denken, Interpretieren und Reflektieren unseres Lebens ausgefüllt ist, können wir uns nicht für Gott öffnen. Mit einem in Gedanken verlorenen Bewusstsein ist keinerlei spirituelle Praxis möglich.
Wenn wir den Zugang zu unserem höheren Denken, Fühlen und Wollen im Geistigen Gemüt finden wollen, müssen wir unser vordergründiges Gemüt zuerst in die Stille führen.
Die übliche Erfahrung
Die meisten Menschen erleben in der Anfangsphase, dass sie sich immer wieder in Gedanken verlieren und ihr Bewusstsein darin gefangen ist. Nach einer Weile wird man wieder bewusst wach und erinnert sich daran, dass man eigentlich meditieren wollte.
Dies kann auch nach Wochen und Monaten weiterhin geschehen. Selbst nach vielen Jahren Meditation treten solche Zustände der Zerstreuung immer wieder auf. Das kann anfangs sehr frustrierend sein. Man mag sich fragen: Was ist der Gewinn davon? Man hat von beeindruckenden mystischen Erfahrungen gehört, doch stattdessen kämpft man nur mit seinen automatischen Gedanken.
2.2.b Eine große Veränderung wird vorbereitet
In dieser Phase geschieht etwas sehr Bedeutendes: Eine grundlegende Veränderung wird vorbereitet. Wir erkennen zunehmend unseren realen Zustand und entwickeln die Sehnsucht, uns davon zu befreien.
In der Meditation erkennen wir, dass wir unser Bewusstsein in den Gedanken verloren haben, und kehren zur Wahrnehmung der Wirklichkeit zurück. Dieser Moment des Erwachens ist von großer Bedeutung – er erzeugt eine geistige Kraft, die die Voraussetzung für alles Weitere auf dem mystischen Weg ist. Das wiederholte Trainieren dieses kleinen Schrittes – Erkennen und zur Wirklichkeit zurückkehren – entwickelt eine entscheidende Fähigkeit, die zur beständigen Achtsamkeit des Bewusstseins führt. Letztendlich bringt uns dies zur Erleuchtung oder, anders ausgedrückt, zum Bewusstsein der Präsenz Gottes in jedem Augenblick – einem Zustand, in dem wir von Wahrer Liebe erfüllt leben können.
Durch die Meditation werden wir uns langsam der unterschiedlichen Zustände bewusst: der Gefangenschaft und starken Identifikation mit unserem Denken und Fühlen einerseits und den bewussten Phasen andererseits, in denen wir im Hier und Jetzt bleiben können. In dem Moment, in dem wir wieder aufwachen, haben wir oft das Gefühl, die Zeit davor verschlafen oder vergeudet zu haben. Doch nach und nach wächst die Motivation, länger wach zu bleiben.
Um unseren Zustand zu verändern, muss uns unsere Realität zunächst schmerzhaft bewusst werden. Das gehört zum inneren Weg. Schritt für Schritt führt er uns zu immer tieferer Selbsterkenntnis.
2.2.c Das Erleben von Veränderungen im Alltag
Die positive Veränderung zeigt sich in dieser Phase meist eher im täglichen Leben als in der Meditation selbst. Wir werden klarer und bewusster. Wir beginnen, unsere unterschiedlichen Bewusstseinszustände bewusst wahrzunehmen. Unser psychischer Zustand verbessert sich allmählich: Wir erleben insgesamt weniger negative Gefühle und lassen uns seltener emotional triggern. Negative Zustände werden schneller verarbeitet und aufgelöst.
Momente der Klarheit
Wenn ich nach der Meditation in der Küche mein Frühstück zubereite, fühle ich mich oft sehr klar – ich genieße jede Wahrnehmung bewusst und erlebe jede Handlung mit voller Präsenz. Das ist sehr angenehm und wertvoll. Ihr werdet zunehmend solche Momente im Laufe des Tages erleben. Oder vielleicht ein kurzes Gefühl von Freude, wenn ihr z. B. einen Vogel seht oder den Himmel betrachtet. Ebenso können wir in Begegnungen mit Menschen bewusster werden.
Selbst wenn solche Erfahrungen noch selten sind, zeigen sie uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir sollten sie also wertschätzen.
2.3.a Phase 2: Die Vertiefung
Wenn wir die erste Phase durchlaufen haben, werden wir weitere Veränderungen erleben. Diese Phase nenne ich Vertiefung. In der ersten Phase sind viel Eigenmotivation und Selbstdisziplin nötig, um durchzuhalten, da wir die Veränderung noch kaum bewusst wahrnehmen. In der Phase der Vertiefung hingegen werden wir mit neuen Erfahrungen belohnt – die Veränderung beginnt substanziell zu werden.
Momente des Öffnens während der Meditation
Du wirst während der Meditation Momente des Öffnens erleben. Es beginnt damit, dass du geerdet bist und für eine Weile in der Wahrnehmung der Wirklichkeit verweilen kannst. Dann geschieht plötzlich ein sich-öffnen – ein Moment der Bewusstwerdung: „Ach, ich bin da.“ Plötzlich fühlt sich alles leichter und entspannter an. Dies ist ein sehr angenehmer Moment – ein Ankommen im Da-Sein im Hier und Jetzt. Solche Erfahrungen sind der Beginn einer tieferen Öffnung.
Dieser Zustand entsteht nicht durch Anstrengung – er geschieht von selbst. Es ist eine Gnade, solche Momente zu erfahren. Meist treten sie nicht direkt zu Beginn der Meditation auf, sondern erst nach 15, 20 oder 30 Minuten. Dadurch entstand in mir ganz natürlich der Wunsch, länger zu meditieren
2.3.b Die Entwicklung von geistiger Empfindsamkeit
In dieser Phase entfaltet sich allmählich unsere geistige Empfindsamkeit oder Sensitivität. Um Gottes Präsenz gewahr zu werden, benötigen wir eine Art geistige Wahrnehmung. Gott ist reiner Geist und kann nicht direkt durch unsere physischen Sinne erfasst werden. Stattdessen werden wir seiner Präsenz durch unsere geistigen Sinne bewusst.
Geistige Sensitivität öffnet uns den Zugang zu unserem eigenen Geist und zum Bereich des Geistes. Wir beginnen, die Atmosphäre eines Menschen oder eines Raums zu spüren. Zudem wird uns bewusst, dass wir selbst Geist oder Seele sind und unser Geist in einer geistigen Umgebung lebt.
Wir beginnen, die Gefühle hinter den Gedanken zu erkennen
In der Meditation werden wir uns zunächst unserer Gedanken bewusst. Wenn wir tiefer gehen, spüren wir auch die Gefühle, die hinter den Gedanken liegen. Wir erkennen, dass wiederkehrende Gedanken von tieferliegenden Emotionen angetrieben werden. Dies ist bereits ein bedeutender Schritt in die Tiefe.
Gleichzeitig kann dies eine hilfreiche Übung sein: Während Gedanken auftauchen, können wir uns fragen, welche Atmosphäre sie haben. Wir können versuchen, die Stimmung zu fühlen, die sie verbreiten. Auf diese Weise beginnen wir, die zugrunde liegenden Gefühle und deren Energie wahrzunehmen.
Später werden wir uns auch der geistigen Atmosphäre bewusst. Wir erleben uns in einer geistigen Umgebung und erkennen den Einfluss, den sie auf unsere Gefühle hat. Durch längere Meditation und Gebet verändert sich diese Umgebung allmählich – sie wird freier, leichter, lichter und liebevoller.
2.3.c Unterscheidung: Geistige Empfindsamkeit und geistige Offenheit
Geistige Empfindsamkeit ist etwas anderes als geistige Offenheit – und diese Unterscheidung ist von großer Bedeutung. Während geistige Offenheit gefährlich sein kann, ist geistige Empfindsamkeit heilsam.
Erfahrungen mit geistiger Offenheit
Als ich in meiner Jugend das erste Buch über die geistige Welt gelesen hatte, wollte ich sie selbst erfahren. Für mich war es immer wichtiger, Dinge selbst zu erleben, anstatt nur Geschichten oder Theorien zu lesen. Also entschied ich mich für ein Experiment:
Am Abend setzte ich mich mehrere Stunden lang in einen dunklen Raum und versuchte, die geistige Welt wahrzunehmen. Ich sprach mit den Geistern und bat sie, sich mir zu zeigen. Nachdem ich das einige Wochen getan hatte, begannen eigenartige Erlebnisse:
Beim Einschlafen konnte ich meinen Körper plötzlich nicht mehr bewegen. Ich versuchte zu schreien, doch es war unmöglich. Erst nach einigen Sekunden kehrte die Kontrolle zurück. Manchmal hörte ich eine Stimme, die sagte: „Jetzt bin ich da.“ Auch untertags verspürte ich oft seltsame, unangenehme Gefühle in unserer Wohnung – so intensiv, dass ich sie manchmal verlassen musste.
Daraufhin schlug meine Mutter vor, zu einem Medium zu gehen. Die Dame fragte uns, zu wem wir in der geistigen Welt eine gute Verbindung hätten, der mir helfen könnte. Mein Urgroßvater war ein Mensch, den wir beide liebten und schätzten. Nachdem sie ihn gerufen hatte, spürten meine Mutter und ich gleichzeitig eine überwältigende Präsenz. Es war, als würde man die Atmosphäre eines Menschen intensiv wahrnehmen – nur um ein Vielfaches verstärkt. Der ganze Raum war von seiner Gegenwart erfüllt.
Diese Erfahrung machte mir zwei Dinge unmissverständlich klar:
• Die geistige Welt existiert mit Sicherheit.
• Es ist kein gutes Ziel, geistig offen zu werden – im Gegenteil, es kann sehr gefährlich sein.
Nach einiger Zeit verschwanden diese Phänomene wieder. Ich stieß dann auf die Zen-Meditation, die mich stark erdete. Reine Achtsamkeitsmeditation führt genau in die entgegengesetzte Richtung: Sie verankert uns zuerst im physischen Körper. Die geistige Sensitivität, die sich auf diesem Weg langsam entwickelt, wächst auf dem soliden Fundament einer verbesserten Einheit von Geist und Körper. Dies ist gesund, stabilisierend und führt uns letztendlich zum wahren Ziel – in Resonanz mit der Liebe Gottes zu gelangen. Eine erste Ahnung davon hatte ich bereits in meiner beschriebenen Erfahrung mit dem Selbsterinnern bekommen – einem Moment des Erwachens in Lebendigkeit und Glückseligkeit.
2.3.d Kleine Erleuchtungen
In der Phase der Vertiefung können schon kleine Erleuchtungen stattfinden. Im Zen-Buddhismus nennt man diese auf Japanisch Kenshōs. Die christlichen Mystiker bezeichnen geistige Erkenntnisse dieser Art als Erleuchtungen.
Diese Erkenntnisse haben noch eine andere Qualität als einfache intellektuelle Einsichten, die durch das Verstehen von Inhalten und Zusammenhängen entstehen. Sie übersteigen in ihrer Klarheit eine intellektuelle Erkenntnis um ein Vielfaches. Geistige Wahrheit kann nicht durch den Intellekt alleine verstanden werden. Sie wird erst durch geistige Erleuchtung von Gott vermittelt – so ist das christliche Verständnis und meine persönliche Erfahrung.
Diese Erleuchtungen sind ein plötzliches Gewahrwerden einer geistigen Realität. Dies geschieht oft in der Meditation, kann aber auch in jeder Lebenssituation auftreten. Solche Erfahrungen berühren uns zutiefst in unserem Wesen. Wir sind zu Tränen gerührt oder werden manchmal emotional überwältigt.
Beispielsweise hatte ich bei meiner morgendlichen Gymnastik, die für mich auch eine Achtsamkeitsübung ist, eine Kenshō-Erfahrung. Mir wurde in einer noch nie erfahrenen Klarheit bewusst, dass ich nicht der Denker in mir bin. Ich bin etwas ganz anderes – was im Buddhismus als das wahre Wesen bezeichnet wird. Im gewöhnlichen Bewusstsein sind wir vollkommen mit unserem Denken, Fühlen und Wollen identifiziert. Das habe ich schon 30 Jahre gewusst. Doch die Erfahrung der Bewusstseinserweiterung hatte ich noch nie in dieser Intensität erlebt.
Über Erleuchtungen dieser Art und ähnliche Erfahrungen werde ich später noch mehr erzählen.
2.4.a Phänomen 1: Die dunkle Nacht der Seele
„Die dunkle Nacht der Seele“ ist eine vorwiegend christliche Bezeichnung für ein Phänomen, das in allen mystischen Traditionen bekannt ist. Es handelt sich um eine Phase tiefster innerer Verlassenheit, in der die Nähe Gottes nicht mehr spürbar ist.
Mystiker, die durch ihr tiefes Gebetsleben bereits die innere Glückseligkeit der göttlichen Präsenz erfahren haben, erleben diesen Zustand besonders schmerzhaft, wenn er plötzlich schwindet. Es ist ein Gefühl tiefer Einsamkeit und Verlassenheit. Man könnte diese Phase auch als geistige Krise oder tiefe Glaubenskrise bezeichnen. Sie geht oft mit großen Zweifeln und einer Ernüchterung einher. Doch alle tiefgläubigen Menschen durchleben solche Krisen und erfahren nach deren Überwindung eine Vertiefung und Erneuerung ihres Glaubens. Der Glaube wird dadurch reifer und erwachsener. Die dunkle Nacht der Seele ist somit ein natürlicher Teil des Weges zu Gott.
Natürliche Schwankungen in der Nähe zu Gott
Es gibt auch natürliche Schwankungen in der empfundenen Nähe zu Gott. Emanuel Swedenborg beschreibt, dass sogar Engel im Himmel nicht immer in gleicher Nähe zu Gott leben. Er bezeichnet alle Geistwesen als Engel, auch verstorbene Menschen. Sie durchlaufen Phasen, in denen sie stärker auf sich selbst bezogen sind. In solchen Zeiten empfinden sie tiefe Traurigkeit und sehnen sich danach, dass diese Phase schnell vorübergeht. Danach folgen wieder Perioden, in denen sie Gott nahe sind und von Glückseligkeit erfüllt werden.
Sun Myung Moon spricht in diesem Zusammenhang von den vier Jahreszeiten des Gemüts, in denen sich unsere Gefühle auf natürliche Weise verändern. Diese zyklischen Veränderungen finden nicht nur über lange Zeiträume hinweg statt, sondern sogar innerhalb eines Tages:
Morgen – Frühling
Mittag/Nachmittag – Sommer
Früher Abend – Herbst
Nacht – Winter
Jede dieser Tageszeiten enthält wiederum in sich selbst diese vier Jahreszeiten. Diese Schwankungen entstehen durch die Rotation des Tores des Gemüts (Geistiges Gemüt). Wenn unsere geistige Empfindsamkeit geöffnet ist, spüren wir, wann wir Gott im Gebet besonders tief erreichen können. Ich selbst erlebe oft, dass mich zu unterschiedlichen Tageszeiten eine tiefe Sehnsucht nach Gebet erfasst – manchmal am Nachmittag, manchmal mitten in der Nacht, etwa um 3 Uhr morgens, wenn ich durch Träume geweckt werde.
Diese natürlichen Schwankungen sind jedoch keine „dunkle Nacht der Seele“. Sie sind vielmehr Ausdruck einer inneren Bewegung.
Die dunkle Nacht der Seele ist eine tiefgreifende Krise
Die dunkle Nacht der Seele hingegen ist eine massive spirituelle Krise. Sie ist Teil eines tiefen Wiederherstellungsprozesses, der eine grundlegende innere Veränderung bewirken soll. Durch diese Phasen hindurchzugehen, bereitet uns auf eine große Gnade vor – ein wunderbares Geschenk erwartet uns. Jede dunkle Nacht der Seele enthält eine Lektion und eine Botschaft. In einer solchen Phase sollten wir daher aufmerksam darauf achten, was Gott uns lehren möchte.
2.4.b Meine persönliche Erfahrung mit der dunklen Nacht der Seele
Ich praktizierte seit einiger Zeit wieder Zen-Meditation und herkömmliche christliche Gebete. Doch ich sehnte mich nach einer direkteren Erfahrung Gottes. Im Grunde befand ich mich bereits in einer Glaubenskrise und war innerlich verzweifelt. Ich wollte einen neuen Anlauf wagen, um ein tieferes Gebet zu erringen.
Daraufhin veränderte ich meine Zen-Meditation. Aus reiner Achtsamkeitsmeditation wurde eine Kontemplation über die Präsenz Gottes. Bei jedem Atemzug machte ich mir bewusst, dass Gott in diesem Moment da ist. Dazu verwendete ich eine Art Mantra mit dem Satz: „Gott ist jetzt da.“ Dieses Gebet praktizierte ich täglich für etwa 90 Minuten.
Ich hatte so viel über Gott gelesen und gelernt, doch ich wollte mich von all diesen Konzepten befreien und Gott so begegnen, wie er wirklich ist. Ich wollte ihn nicht länger in eine Schublade aus Gedanken und Vorstellungen zwängen. Ich sagte zu ihm: „Auch wenn du kein guter, liebender Gott sein solltest – ich möchte dich trotzdem erleben, so wie du wirklich bist.“
Mit der Zeit entwickelte sich in dieser Form des Gebets ein Gefühl, das ich nur schwer in Worte fassen kann. Es war, als säße ich ganz allein in einer stockdunklen, kalten Halle auf einem Betonboden. Ich fühlte mich leer und einsam. Dieses Gefühl verstärkte sich mit den nächsten Wochen und Monaten. Die Halle wurde immer größer, der Boden immer kälter, die Umgebung immer dunkler. Ich flehte Gott innerlich um ein Zeichen an – doch es kam nichts. Kein Licht, kein Funke, kein Geräusch, kein Gefühl. Nur vollkommene Stille, tiefste Finsternis und absolute Leere.
Die Halle dehnte sich schließlich so weit aus, dass sie das gesamte Universum zu umfassen schien. Ich war allein in dieser unendlichen Dunkelheit. Kein Zeichen von Gott.
Ich fragte mich, warum Gott mir nicht wenigstens ein kleines Zeichen geben konnte, wo ich ihn doch so verzweifelt darum bat. In dieser Zeit haderte ich mit ihm. Manchmal zweifelte ich sogar an seiner Existenz.
Dann führte mich Gott zu einer Gruppe, die das Herzensgebet praktizierte – im Grunde genau das, was ich bereits seit einem halben Jahr tat. Dort wurde mir ein Buch empfohlen, in dem ich eine Passage über den scheinbar schweigenden Gott las. Es war für mich eine große Erleichterung zu erfahren, dass auch andere kontemplative Christen ähnliche Erfahrungen machen.
Einige Zeit später wurde mir klar, was Gott mir durch diese Dunkelheit zeigen wollte.
Gott ist in mir
Obwohl ich tief im Gebet versenkt war, suchte ich Gott weiterhin im Außen. Ich wollte ein wahrnehmbares Zeichen von ihm. Schon oft hatte ich bei Sun Myung Moon gelesen, dass Gott im Innersten des Herzens wohnt – doch in meiner Meditation hatte ich das noch nicht wirklich verinnerlicht.
Man kann meditieren, ohne wirklich nach innen zu gehen. Erst als ich begann, dies bewusst zu lernen, entwickelte sich eine Art Herzmeditation. Das Gefühl der Verlassenheit verschwand. Stattdessen stellte sich eine leise, stille Freude in meinem Herzen ein.
Später erkannte ich zudem, dass ich Gott durch meine Sinne wahrnehmen wollte. Doch Buddha lehrt, dass auch die Wahrnehmungen leer sind. Und Sun Myung Moon sagt, dass man Gott nicht einmal in der geistigen Welt direkt wahrnehmen kann – denn er ist reiner Geist, ohne Form.
Wie man sich der Präsenz Gottes dennoch bewusst werden kann, werde ich später noch beschreiben.
2.5.a Phänomen 2: Selbsterkenntnis - Reinigung des Gemüts
Selbsterkenntnis ist eine natürliche Folge der Meditation und des stillen Gebets. Solange wir Gebete aus unseren Gedanken und Gefühlen heraus sprechen, findet dieser Prozess nur begrenzt statt. Erst wenn wir in die Stille gehen, werden wir mit unserer Wirklichkeit konfrontiert. Wir beginnen, den Zustand unseres Gemüts zu erkennen.
Jeder von uns hat ein bestimmtes Selbstbild. Doch dieses ist lediglich ein Konstrukt – eine Vorstellung von uns selbst. Die Wirklichkeit kann anders sein und ist es auch.
Wenn wir über längere Zeit regelmäßig meditieren, verbringen wir Stunden und Tage mit unserer wahren Wirklichkeit. In der Meditation können wir nichts ausblenden oder verdrängen, selbst wenn es uns nicht gefällt. Wir werden gnadenlos mit allem konfrontiert, was uns ausmacht. Der innere Weg zu Gott führt uns durch unsere eigene Wirklichkeit. Es gibt keinen Weg, die Wiederherstellung unserer inneren Natur zu umgehen. Der Weg zu Gott führt uns durch diesen Prozess der Selbsterkenntnis.
Was ist Gebet? Es ist Reinigung. Es ist notwendig, deinen Geist zu reinigen. Es ist eine Methode der Disziplin, um unseren Geist zu reinigen. Es ist notwendig, deinen Geist zu vereinen.
Durch das Gebet wirst du den Standard des ursprünglichen Gewissens wiederherstellen
Es werden Situationen aus unserem Leben auftauchen, in denen wir auf eine bestimmte Weise gehandelt haben. Oft zeigt sich dabei ein anderes Bild von uns selbst. So gelangen wir Schicht für Schicht zu einer immer tieferen Selbsterkenntnis.
Das Erkennen der eigenen Wirklichkeit ist die Voraussetzung für eine positive Veränderung. Solange wir uns Illusionen über uns selbst machen, wird keine teifgreifende Veränderung stattfinden.
Diese Art der Selbsterkenntnis kann zunächst unangenehm sein. Christliche Mystiker sprechen von der „schmerzhaften Selbsterkenntnis“. Doch letztendlich führt sie uns in die wahre Freiheit – denn wir legen unsere ursprüngliche Natur oder, im buddhistischen Terminus, unser wahres Selbst frei. Wir beginnen, unsere gefallene Natur abzulegen, so wie eine Schlange ihre alte Haut abstreift. Am Ende werden wir mit der Entdeckung unseres wahren Selbst beschenkt.
Angewohnheiten können ewig bestehen; es ist so schwer, sie zu ändern. Aber dennoch können sie geändert werden, während ihr auf der Erde lebt...
Wenn eine Schlange sich häutet, wird sie so lange herumkriechen, bis sie eine
Felsspalte findet, in der ihr Schwanz hängen bleibt. Sie wird dann ihren Körper um einen Baum winden und sich mit aller Kraft daran reiben und sogar bluten, um ihre Haut abzustreifen.
2.5.b Unterschiedlicher Standard der Reinheit
Eine Straße gilt als sauber, wenn kein Müll herumliegt. Doch wäre der gesamte Staub dieser Straße in unserem Badezimmer, würden wir es als sehr schmutzig empfinden. Selbst nachdem wir das Badezimmer gründlich gereinigt haben, bleibt immer noch etwas Staub zurück. Hätten wir jedoch den Reststaub eines sauberen Badezimmers in unserem Auge, wäre das äußerst unangenehm – und wir würden ihn sofort entfernen wollen.
Genauso existiert im geistigen Leben ein wachsender Standard der Reinheit. Wenn wir das stille Gebet praktizieren, bewegen wir uns auf Gott zu. In der Gegenwart Gottes wird selbst das kleinste Staubkorn sichtbar.
Jemand mag von sich behaupten, nicht zu sündigen, weil er nicht stiehlt und seinem Partner treu ist. Doch in der Meditation könnte er erkennen, dass er durch seine Handlungen oder Unterlassungen dennoch Menschen und Gott verletzt. Diese Erkenntnis fordert eine Anpassung des Selbstbildes.
Letztendlich verletzen wir unser eigenes Herz, wenn wir andere oder Gott verletzen. Unser ursprüngliches Herz ist sehr rein. Je mehr wir es verletzen, desto mehr entfernen wir uns von unserer Mitte und unserem wahren Selbst.
2.5.c Meine persönliche Erfahrung mit der schmerzhaften Selbsterkenntnis
Ich befand mich in einer Phase, in der ich zugegebenermaßen etwas depressiv war. Innerlich ging es mir nicht gut. Es war Winter, ich arbeitete seit Langem zu viel und war erschöpft. Die äußere Situation war kurzfristig nicht zu ändern, und ich hatte keine Perspektive, dass es in absehbarer Zeit besser werden würde. In solchen Lebensphasen werde ich leicht depressiv, da ich von Natur aus dazu neige.
In meiner Meditation tauchten ständig negative Gedanken über andere Menschen auf. Mit der Zeit wurde mir immer klarer, was in mir vorging: Ich fühlte mich schlecht und versuchte, mich besser zu fühlen, indem ich andere innerlich abwertete und kritisierte. Nach und nach kamen auch Erinnerungen an Situationen aus meiner Vergangenheit hoch, in denen ich genau dasselbe getan hatte.
Das Bild, das mir von mir selbst gezeigt wurde, füllte mein gesamtes Inneres aus. Es schien, als hätte ich mein ganzes Leben nichts anderes getan, als andere abzuwerten, um mich selbst aufzuwerten. In einer Psychotherapie hätte man nun am Selbstwertgefühl gearbeitet. Doch auf meinem Gebetsweg erschloss sich mir etwas anderes: Mir wurde schmerzhaft meine innere Verhaltensweise bewusst. Ich war entsetzt – ja, sogar angeekelt von meinem eigenen Vorgehen. Ich hatte die Nase voll von mir selbst.
Ich hatte bereits viele Jahre Psychotherapie hinter mir, bis mir Psychologen sagten, es bringe nichts mehr – ich müsse einfach damit leben. Zudem lag fast 40 Jahre eines religiösen Weges hinter mir, und dennoch war ich immer noch so. Ich verlor die Hoffnung, mich in diesem Leben noch verbessern zu können. Mit all meiner angeblichen Weisheit als erfahrener Familientherapeut war es mir nicht gelungen, mich tiefgreifend genug zu heilen und zu verändern. Es fühlte sich an, als würde ich innerlich zermürbt.
Doch genau an diesem Punkt geschah etwas Bedeutendes. Das größte Glück meines inneren Lebens öffnete sich für mich: Ich wurde bereit, mich ganz in Gottes Hand zu legen. Ich bat Gott, mich zu verändern – und es begann damit, dass ich das Wunder seines Wirkens erfahren durfte.
2.5.d Wie Gott uns verändert
Es ist nicht einfach, sich Gott anzuvertrauen – dass er mein Leben führt und ich meine Entscheidungen nach seinem Willen ausrichte. Doch noch schwieriger war für mich, die Veränderung meines Wesens in Gottes Hand zu legen.
Gewöhnlich wollen wir uns selbst so verändern, wie wir es für richtig halten. Wir möchten so werden, wie wir es uns wünschen. Doch nicht immer ist das der beste Weg für uns. Vielleicht soll ich gerade so werden, wie Menschen, die ich ablehne oder uncool finde.
In meiner Vergangenheit habe ich andere oft als leichtgläubig und naiv abgewertet. So wollte ich nicht werden – und auch nicht so erscheinen. Ich tat alles, um nicht als leichtgläubig dazustehen. Die Vorstellung, von anderen so gesehen und abgewertet zu werden, wäre für mich sehr schmerzhaft gewesen.
Doch was, wenn Gott mich in eine Richtung verändern möchte, in der ich für andere vielleicht genau so erscheine? Früher hätte ich das blockiert und mich mit aller Kraft dagegen gewehrt. So wollte ich niemals werden.
Die Veränderung meines Wesens in Gottes Hand zu legen bedeutet, diesen Widerstand aufzugeben und mich ihm anzuvertrauen. Es bedeutet, darauf zu vertrauen, dass Gott mich auf den bestmöglichen Weg führt – zu einer Veränderung, für die ich am Ende mit Sicherheit glücklich und dankbar sein werde.
In der Präsenz Gottes sitzen
Wenn wir uns im reinen Gebet für Gott öffnen, sitzen wir in Stille in seiner Präsenz. Wir ‚schauen Gott‘ – wie es christliche Mystiker ausdrücken. In seiner Gegenwart beginnt er, auf uns zu wirken. Die Veränderung unseres Wesens ist unvermeidlich. Sie geschieht langsam, aber stetig. Oft wird ihre Wirkung erst nach Wochen oder Monaten sichtbar.
Wenn wir es zulassen, kann Gott eine tiefgreifende Veränderung in uns bewirken. Eine Weisheit beginnt in uns zu wirken und uns zu führen, die die unsere um ein Vielfaches übersteigt. Das Ergebnis wird besser sein, als wir es uns je vorstellen können. Das habe ich am eigenen Leib erfahren dürfen. Durch die Erfahrungen, die ich in den nächsten Kapiteln schildere, wird das noch deutlicher werden.
2.5.e Wie mir Gott das Prinzip der Reue offenbarte
Das Konzept von Reue hatte für mich oft einen bitteren Beigeschmack. Es fühlte sich manchmal an wie ein Sich-selbst-kleinmachen oder Abwerten.
Ich fragte mich, warum Gott unsere Reue braucht, wenn er uns doch vollkommen liebt. Ich will ja auch nicht, dass meine Kinder bereuen, wenn sie mich verletzt haben. Mir genügt es, wenn sie sich wieder öffnen. Dann kann auch ich mich wieder öffnen, und alles ist gut – die Liebe kann wieder fließen.
Wie Gott mir diesen inneren Schritt offenbart hat, war eine echte Überraschung. Ich schildere es anhand einer Erfahrung.
Es war eine Phase, in der im Gebet immer wieder Situationen aufkamen, in denen ich lieblos gehandelt hatte. Eigentlich war ich überzeugt, ein liebevoller Mensch zu sein. Doch diese Situationen zeigten mir ein anderes Bild von mir selbst. Über einige Zeit hinweg wirkte das auf mich ein. Ich begann, es zuzulassen, und akzeptierte das veränderte Bild von mir. Daraufhin stellte sich eine traurige Stimmung ein, die einige Tage anhielt.
Kein Mensch ist einer himmlischen Tröstung Wert der nicht zuvor in der Schule der heiligen Zerknirschung fleißig sich geübt hat. Soll dein harter Sinn erweicht / dein verschlossenes Herz wieder aufgetan werden / so geh in deine Kammer und lass den Tumult der Welt nicht hinein. Wie die Schrift sagt: in euern Kammern redet mit eurem Herzen / bis sie wund und weich werden.
Dann geschah etwas Unbeschreibliches. Meine Frau und ich fuhren zum Baumarkt, um Material für die Renovierung zu kaufen. Als ich das Geschäft betrat, überkam mich plötzlich ein starkes Liebesgefühl. Ich empfand eine ungewöhnlich tiefe Liebe für alle Menschen – am liebsten hätte ich alle in den Arm genommen.
Es dauerte nicht lange, bis die Menschen darauf reagierten. Eine Verkäuferin sagte mir, sie werde sehr traurig sein, wenn meine Renovierung abgeschlossen sei und ich nicht mehr komme. Es entwickelte sich ein langes, sehr persönliches Gespräch – etwas, das in einem Baumarkt eher ungewöhnlich ist. An einem Ort, an dem Handwerker ihr Material besorgen, geht es sonst eher rau zu.
Diese Liebe, die ich empfand, kam nicht von mir. Ich fühlte sie zwar in meinem Herzen, aber es war kein gewöhnliches Gefühl. Sie hatte eine außergewöhnliche Intensität, und ich fühlte mich von ihr ergriffen.
2.5.f Das Prinzip der Reue
Reue ist der wirkungsvollste Schritt, um die Gnade Gottes zu empfangen. Gott braucht unsere Reue nicht, weil er sonst nicht vergeben könnte. Er will uns auch nicht kleinmachen. Seine einzige Motivation ist es, uns reich zu beschenken. Ob wir es verdient haben oder nicht, spielt keine Rolle – Gottes Liebe kennt keine Grenzen.
In der zuvor geschilderten Erfahrung wurde deutlich, dass Gott mir seine Gnade schenken wollte. Er wollte seine Liebe in mein Herz legen. Doch ich war noch nicht offen und bereit dafür. Ich glaubte, ein liebevoller Mensch zu sein, nur weil ich mich bemühte, nett zu sein und andere nicht zu verletzen.
Es brauchte jedoch eine innere Vorbereitung, um diese Gnade empfangen zu können. Diese geschah durch die Reflexion meiner eigenen Lieblosigkeit in vielen Situationen. Dann folgte der entscheidende Schritt: Ich musste annehmen, was Gott mir zeigte. Ja, es ist wahr, dass ich oft lieblos bin! Erst durch dieses Annehmen entstand die Traurigkeit über meine eigene Lieblosigkeit – das Gefühl der Reue.
Reue ist ein ganz natürliches Gefühl, das aufkommt, wenn wir erkennen, dass wir etwas getan haben, das nicht gut war. Sobald wir es an unser Herz heranlassen – und das ist die wichtigste Voraussetzung – wird unser Herz darüber traurig. Diese Traurigkeit eines offenen, aufrichtigen Herzens ist Reue. Und genau dieses Herz braucht Gott, um uns seine Gnade zu schenken.
Die Schritte sind also folgende:
- Schmerzhafte Selbsterkenntnis zulassen
- Die gezeigte Wirklichkeit annehmen
- Das Gefühl der Reue zulassen
- Die Gnade empfangen
Schlussendlich kann man sagen, dass man sich freuen kann, wenn einen etwas zur Reue führt. Es ist ein Zeichen dafür, dass ein großes Geschenk für uns bereitliegt. Es braucht nur einen kleinen Schritt unsererseits, um es zu empfangen.
2.5.g Die Gnade Gottes
Gottes Gnade ist eine unbeschreibliche, reale Kraft, an die wir durch den religiösen Weg anknüpfen können. Sie ist eine Ressource, die es in der Psychotherapie nicht gibt. Im Grunde ist es erst die Gnade, die den Weg zu Gott überhaupt möglich macht. Wie schwierig wäre es, wenn wir die ganze Veränderung allein bewirken müssten?
In der Psychotherapie arbeitet man daran, sich Verhaltens- und Reaktionsmuster bewusst zu machen, um anschließend neue Muster zu entwickeln. Das ist mühsame Kleinarbeit. Auch in einem wahrheits- oder ethikfokussierten religiösen Leben reflektieren wir uns selbst und bemühen uns, uns zu verbessern. All das ist wertvoll, und wir sollten diese Möglichkeiten nutzen. Doch erst die Gnade Gottes bringt uns zu unserem wahren menschlichen Potenzial.
Als Kinder Gottes sind wir nicht auf uns allein gestellt – wir werden zum Objekt seiner Gnade. Unsere wesentliche Aufgabe ist es, uns dafür zu öffnen. Der mystische Weg führt uns auf direkte Weise in die Erfahrung der göttlichen Gnade.
Das aufrichtige Herz das Gott sucht
Das Wichtigste im religiösen Leben ist ein aufrichtiges Herz, das sich nach Gott sehnt – denn diese Sehnsucht selbst ist Liebe zu Gott. Dieses Herz führt uns zurück zu ihm. Durch den Gebetsweg finden wir wieder Zugang dazu. Genau dieses Herz treibt Mystiker an, ihren Weg zu gehen. Es gilt, diese Liebe in uns neu zu entdecken und unser Herz dafür zu öffnen.
2.6.a Phänomen 3: Auflösung der Ego-Identifikation
Wir beginnen zunächst mit einer philosophischen Betrachtung.
Im Buddhismus bedeutet die Überwindung des Egos, die Illusion eines festen Selbst zu durchschauen und egozentrische Anhaftungen loszulassen. Durch Achtsamkeit, Weisheit und Mitgefühl löst sich die Identifikation mit vergänglichen Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen auf. Dies führt zu innerer Freiheit und letztlich zur Befreiung im Nirvana.
Die buddhistische Vorstellung einer vollständigen Auflösung des festen Selbst oder des „Ich“ ist für viele schwer zu verarbeiten. Zudem scheint sie im Widerspruch zum christlichen Verständnis einer ewig lebenden Seele zu stehen, die Verantwortung trägt und nach dem Prinzip von Saat und Ernte lebt. Auch gemäß dem Göttlichen Prinzip existieren wir ewig in der Geistigen Welt weiter. Der Mensch bleibt also eine bleibende Entität mit Verantwortung. Gleichzeitig aber werden wir erst als Paar zum Abbild Gottes und erweitern uns als Familie bis hin zur gesamten Menschheit. Im Laufe der spirituellen Entwicklung löst sich das egozentrierte Bewusstsein auf.
Der Buddhismus unterscheidet zwischen dem wahren Wesen und dem Ego. Im Göttlichen Prinzip entsprechen dem die Begriffe „ursprüngliches Gemüt“ und „gefallene Natur“, ähnlich wie im christlichen Sprachgebrauch. Das Göttliche Prinzip beschreibt vier Hauptaspekte der gefallenen Natur, die ihren Ursprung im Sündenfall haben. Da nur diese vier Hauptaspekte genannt werden, bleiben viele weitere daraus resultierende Aspekte unerwähnt. Der Buddhismus hingegen benennt 108 Trübungen und Befleckungen – darunter Gier, Hass und Verblendung –, die es zu überwinden gilt.
Egoismus und Selbstlosigkeit
In Religionen spielt die Entwicklung zu einem selbstloseren Menschen eine zentrale Rolle. Sie beschreibt die grundlegende Richtung, die eine echte spirituelle Entwicklung nehmen muss. Um diesen Prozess in uns zu vollziehen, müssen wir zwischen Selbstbezogenheit und Selbstlosigkeit unterscheiden. In der Praxis finde ich das jedoch oft schwierig.
Ein Säugling ist maximal selbstbezogen, doch wir erwarten, dass Menschen im Laufe ihrer Entwicklung zunehmend ans Gemeinwohl denken und dafür leben. Aber wie lassen sich Selbstlosigkeit und Selbstbezogenheit im Detail unterscheiden? Auch viele soziale Aktivitäten befriedigen unsere eigenen Bedürfnisse: Wir suchen positive Rückmeldungen, Anerkennung, Wertschätzung, wollen nicht alleine sein oder Teil einer Gemeinschaft sein. Sozial engagiert zu sein bedeutet also nicht zwangsläufig, selbstlos zu sein. Deshalb müssen wir unsere Motivation stets reflektieren und hinterfragen.
Es gibt jedoch eine Ausnahme, in der der Versuch, selbstloser zu werden, nicht hilfreich ist: Menschen, die in der Phase der Sozialisierung innerhalb der Familie zu früh zu viel Verantwortung übernommen haben. Zum Beispiel, wenn wir aus Angst vor dem Zerbrechen der Familie begonnen haben, uns emotional um einen Elternteil zu kümmern. Dies kann zu einer ungesunden Bezogenheit auf andere führen. In solchen Fällen spüren wir stärker, was andere brauchen, und verlieren uns selbst aus dem Blick. Doch das ist kein gesunder Altruismus – es bleibt Teil des Egos. Dies sollte nicht verwechselt werden. Menschen mit einer solchen Psychodynamik müssen zuerst lernen, sich selbst zu spüren und mit sich in Kontakt zu kommen, bevor sie zu Gott finden können. Hier würde der willentliche Versuch, selbstloser zu werden, lediglich die bestehende Psychodynamik verstärken und nicht aus der Ego-Identifikation herausführen.
Das Göttliche Prinzip stellt klar, dass der Zweck des Ganzen grundsätzlich den Zweck des Einzelnen mit einschließt. Bis zu einem gewissen Grad sind Selbsterhalt und Vitalität also Teil der ursprünglichen Natur. Doch der religiöse Weg führt uns dazu, das ursprüngliche Gemüt zu befreien und zu beleben, sodass es zur primären Motivation unseres Seins wird.
Der Fokus auf den Erfahrungsprozess
Da es mir vor allem um den Erfahrungsprozess geht, belasse ich es bei dieser unvollständigen philosophischen Betrachtung. Wissen allein hilft uns nur, wenn wir es in uns selbst erkennen und die Transformation tatsächlich vollziehen. Daher beschreibe ich im Folgenden die Sichtweise, die mir geholfen hat, und die Transformation, die ich durchlaufen durfte.
In der Praxis empfinde ich die Unterscheidung zwischen wahrem Wesen bzw. ursprünglichem Gemüt und Ego bzw. gefallener Natur als äußerst hilfreich.
2.6.b Meine Betrachtung: Wahres Wesen und Ego
Wir sind das wahre Selbst und haben ein Ego. Das Ego entsteht aus dem Verhaftetsein in unserem persönlichen, individuellen Denken, Fühlen und Wollen – sowie aus unseren persönlichen Wünschen und Bedürfnissen. Dieses Konstrukt von „Selbst“ und „Ich“ ist so stark, dass es uns schwerfällt, uns davon zu lösen. Doch genau dieses Loslassen oder Erweitern unseres Bewusstseins ist notwendig, um unser ursprüngliches Wesen zu erkennen und zu befreien. Es ist notwendig, um uns für Gott zu öffnen.
In der Mystik nähern wir uns diesem Phänomen in neuer Tiefe. Wir erkennen, dass das Problem darin besteht, dass wir uns zunächst vollständig mit unserem persönlichen Denken, Fühlen und Wollen identifizieren – doch dies macht nur den oberflächlichen Teil unseres Wesens aus. Durch mystische Praxis löst sich diese Identifikation langsam auf.
Dieser Prozess geschieht schrittweise durch Meditation und Achtsamkeit. In der Meditation nehmen wir Gedanken und Gefühle wahr, lassen unser Bewusstsein jedoch nicht von ihnen einnehmen. Unser Bewusstsein erweitert sich auf den Bereich unseres Wesens, der jenseits von Denken, Fühlen und Wollen liegt. Eine interessante Frage lautet: Was sind wir, wenn wir nicht unser persönliches Denken und Fühlen sind? Was bleibt von uns, wenn Denken, Fühlen und Wollen den Nullpunkt erreichen? Diese Frage führt uns zu unserem wahren Selbst.
Solange wir uns noch mit diesem individualistischen Selbst identifizieren, können wir Gott in uns nicht wirklich erkennen.
2.6.c Das Ego verursacht Unfreiheit und Leid
Das Ego möchte wahrgenommen, respektiert und wertgeschätzt werden und für andere besonders wichtig sein. Es strebt danach, dass seine Leistungen bis in alle Ewigkeit anerkannt und bewundert werden.
Das Ego ist eitel. Es fühlt sich verletzt, wenn wir nicht gesehen oder ernst genommen werden. Es wird eifersüchtig und beleidigt, wenn es ignoriert und vergessen wird, während andere belohnt werden. Es wird getriggert, wenn es scheinbar jemand abwertet – auch wenn es nicht so gemeint war.
Es will am liebsten immer gewinnen. Wenn es einmal verliert, ist es geknickt und frustriert. Das Ego hat Angst, etwas zu verlieren, und ist gierig danach, immer mehr zu bekommen.
Wie stolz ist es auf seine eigene Meinung, obwohl es nur eine begrenzte Perspektive einnehmen kann! Es vergleicht sich ständig mit anderen, versucht, sich aufzuwerten und sich besser zu fühlen, indem es andere abwertet. Es strebt nach Lob und Anerkennung von anderen Menschen, bemüht sich dafür nach Kräften und verliert dabei den wahren Zweck aus den Augen.
Ihr alle wisst, wie ihr wirklich seid. Habt keine zu hohe Meinung von euch selbst.
Wie befreiend ist es, wenn man sich selbst nicht mehr so wichtig nimmt und keine hohe Meinung von sich hat. Andere dürfen gerne besser sein, mehr bekommen – mehr Wertschätzung, Anerkennung und Aufmerksamkeit erhalten. Alles entspannt sich, und wir werden frei. Wir können uns auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.
Kein ‚Ich‘, keine Probleme!
Das Ego sucht nach äußerer Liebe, findet jedoch keinen Zugang zur wahren Liebe, die von innen kommt. Es strebt nach äußerem Glück und versperrt sich den Weg zu wahrer innerer Glückseligkeit, die nur in Gott zu finden ist.
Wenn wir es schaffen, uns von diesem Ego zu befreien, erfahren wir, wie einfach es ist, glücklich zu sein.
2.6.d Der Prozess der Berfreiung von der Ego-Identifikation in der Meditation
In der Meditation tauchen manchmal Gedanken auf, die wir für äußerst wertvoll halten. Diese wollen wir dann auf keinen Fall loslassen – sie erscheinen uns so genial. Doch wenn wir ehrlich sind: Wissen wir noch, was wir vor einer Stunde oder gestern gedacht haben? Das meiste ist vergessen, und Gott sei Dank!
Ich habe hunderte Male im Gebet erlebt, dass ich in einem relativ tiefen Zustand gedanklich zu Lehren beginne. Daraus entstehen oft gute Anregungen für Vorträge. Früher bin ich dort immer hängen geblieben und habe manchmal sogar die Gedanken aufgeschrieben. Doch dann wagte ich es, diese loszulassen und mich noch ein Stück weiter für Gott zu öffnen. In diesen Momenten hatte ich meine tiefsten Gebetserlebnisse. Sie öffneten in mir eine Ebene, die noch tiefer war. Diese Erfahrungen wurden dann die Grundlage für die besseren Vorträge. Ich habe nie etwas verloren, indem ich Gedanken und Ideen losließ. Was wirklich wichtig ist, kommt wieder. Heute freue ich mich, wenn mein innerer Lehrer aktiv wird, und lasse ihn ohne Sorge los.
Durch die Erfahrungen in der Meditation erkennen wir, wie stark wir uns an unsere Gedanken klammern. In dem Moment, an dem wir uns Gottes Präsenz im Gebet anvertrauen und die Gedanken loslassen, lassen wir ein Stück des Egos los. Das ist eine entscheidende Übung auf dem religiösen Weg. Es ist jedes mal ein kleiner Schritt in Richtung Nullpunkt-Zustand. Der Zustand in dem wir uns vollkommen für Gott öffnen können.
2.6.e Das Ego auf der Ebene der Gefühle
Nach der Ebene der Gedanken folgt die Ebene der Gefühle. Ähnlich wie beim gedanklichen Teil des Egos sind wir mit unseren Gefühlen identifiziert. Wir erleben sie so, als wären wir unsere Gefühle. Sie loszulassen ist der nächste, tiefere Schritt.
Unser natürliches Bestreben ist es, uns ständig gut zu fühlen – so sind unser Körper und Gehirn konditioniert. Auch unser ursprüngliches Gemüt genießt es, sich gut zu fühlen, jedoch nicht um jeden Preis. Es stellt die Liebe an oberste Stelle.
Im menschlichen Leben ist es unmöglich, sich dauerhaft gut zu fühlen. Wie das Wetter wechseln unsere Umstände und damit auch unser Gefühlszustand ständig. Obwohl wir das wissen, neigen wir dennoch dazu, unsere Gefühle zum Maßstab aller Dinge zu machen. Viele unserer Handlungen zielen darauf ab, uns besser zu fühlen. Das funktioniert zwar nie dauerhaft, doch wir halten an dieser Vorstellung fest. Würden wir sie loslassen, würden wir uns vermutlich öfter gut fühlen.
Buddha lehrte, dass zwei der Haupthindernisse auf dem Weg zur Erleuchtung Aversion und Verlangen sind.
- Aversion bedeutet die Ablehnung von allem, was unangenehm ist. Wir wollen uns von negativen Zuständen im Leben befreien und hegen eine Abneigung gegen Unangenehmes.
- Auf der anderen Seite steht das Verlangen nach etwas, das wir bekommen möchten. Dies mündet in Gier. Wenn wir etwas haben, entsteht die Angst, es wieder zu verlieren. Also versuchen wir, es festzuhalten.
Das Ego wird von Aversion und Verlangen gesteuert: „Das mag ich nicht, das mag ich.“ Um diese Achse dreht sich sein Leben. Das Ziel dieses Spiels ist es, sich ständig gut zu fühlen.
Doch das Leben und die Wirklichkeit kümmern sich wenig um unser Ego. Angenehmes kommt und geht, Unangenehmes kommt und geht – das können wir grundsätzlich nicht ändern. Leben bedeutet Wandel, es umfasst Freude und Schmerz, Gewinn und Verlust.
Dadurch, dass wir Unangenehmes ablehnen und Angenehmes festhalten wollen, entsteht Leiden. Das Ego erzeugt dadurch Konflikte, Leid und letztlich sogar Krieg und Selbstzerstörung. Würden wir jedoch den Kreislauf des Kommens und Gehens – die Veränderung der Zustände – akzeptieren, wären wir frei.
Das lässt sich in der Meditation unmittelbar erfahren. Ein Schmerz im Knie, den wir ablehnen, wird zu einem großen Problem, das uns vollständig vereinnahmt. Unser gesamtes Gemüt wird von der Ablehnung gequält. Doch wenn wir es schaffen, den Schmerz als die Wirklichkeit des Moments anzunehmen, löst sich das dadurch erzeugte Leid auf. Der ganze Körper kann sich entspannen, die Energie beginnt wieder zu fließen. Oft verschwindet der Schmerz sogar von selbst. Bei unangenehmen Emotionen gilt dasselbe Prinzip.
Das bedeutet natürlich nicht, dass wir nicht gut für unsere Gesundheit und unser emotionales Wohlbefinden sorgen sollen. Es geht vielmehr darum, zu erkennen, wie sehr wir von diesen Mechanismen gesteuert und vereinnahmt werden. Dieses Erkennen in uns selbst ist bereits der erste und wichtigste Schritt zur Befreiung.
2.6.f Wahrer Gleichmut – der Schritt zu einer unveränderlichen Geisteshaltung
Gleichmut ist eine Geisteshaltung die uns von diesem gesteuerten Zustand befreit. Gleichmut bedeutet dass wir unbeeinflusst davon sind, wie wir uns fühlen oder wie die Umstände sind. Wir verändern nicht unsere Geisteshaltung, weil sich die Umstände ändern.
Gleichmut bei einem Spiel würde bedeuten, dass es uns egal ist ob wir gewinnen oder verlieren. Es sind nur 2 Seiten einer Erfahrung. Einer verliert und ein anderer gewinnt. Das bedeutet nicht dass wir Gleichgültig sind. Wir investieren alles um zu gewinnen. Jedoch akzeptieren wir die Wirklichkeit hundertprozentig auch wenn wir verloren haben. Dadurch erleben die Erfahrung des verlierens so wie sie ist und konstruieren kein unnötiges Drama daraus.
Das Wetter können wir nicht beeinflussen. Es sind die Umstände des Lebens. Einmal scheint die Sonne einmal regnet es. Wenn wir den Winter noch so hassen und den Sommer noch so lieben, wird es keine Stunde mehr oder weniger davon geben. Das Wetter wie die Wirklichkeit zeigen vollständig unbeeidruckt von unserem Verlangen. Das Wetter ist wie es ist, unser Gemüt kann damit hadern oder Gleichmütig sein. In der Haltung des Gleichmuts findet man vielleicht wieder Freude am Winter.
Gleichmut kann man leicht missinterpretieren und missverstehen. Oft werden östliche Philosopien dafür kritisiert zur Verantwortungslosigkeit zu neigen. Wahrer Gleichmut hat jedoch nichts damit zu tun unverantwortlich zu sein. Wir verändern was wir verändern können zum Guten. Aber was wir nicht verändern können nehmen wir so an wie es ist. Auch etwas zum Guten verändern basiert darauf die Wirklichkeit zu erkennen und anzuerkennen.
Gleichmut bedeuet absolutes anerkennen was ist. Das Annehmen und Aushalten der Wirklichkeit wie sie ist. Wir erzeugen kein unnötiges Leiden und hadern nicht mit ihr.
Psychologisch werden viele Problem wie Neurosen und Süchte dadurch erzeugt, dass wir uns nicht aushalten. Wir verdrängen was wir nicht sehen und vor allem nicht fühlen wollen. Damit erzeugen wir negative Psychodynamiken. Bevor wir zu einem Suchtmittel greifen, oder einem Suchverhalten nachgehen fühlen wir uns zumindest einen kurzen Moment nicht gut. Würden wir in der Lage sein, das auszuhalten, dann würden wir uns nicht in ein Suchtverhalten treiben lassen. Das Suchtverhalten hilft uns unsere unangenehme Wirklichkeit nicht anzuschauen und zu fühlen. Wer wahren Gleichmut errungen hat, braucht demnach auch nicht mehr zu sündigen.
In der Mediation können wir Gleichmut erwerben und die Wirkung direkt erfahren. Es liegt nicht in unserer Macht zu bestimmen wie die Meditation wird. Ob viele oder wenig Zertreuung vorhanden ist, ob eine Gnade uns geschenkt wird. Ob angenehme oder unangenehme Gefühle und Empfindungen aufkommen. Alles geschieht oder nicht. Je mehr Gleichmut wir entwickeln und jeden Zustand so annehmen können wie er ist, desto größer wird die Hingabe in den Moment werden. Wahrer Gleichmut befähigt uns zur vollständigen Hingabe, selbst an die unangenehme Wirklichkeit, und führt zur inneren Freiheit. So gesehen führt uns der Gleichmut in immer tiefere Mediation und Gebet und Hingabe zu Gott.
2.6.g Demut und Dankbarkeit: die Schlüssel zum spirituellen Wachstum
Demut, Dankbarkeit und Großzügigkeit sind bedeutende Eigenschaften des ursprünglichen Gemüts. Sie öffnen uns für Gott und schaffen die Voraussetzung, um Gottes Gnade zu empfangen.
Das ursprüngliche Gemüt braucht die Eigenschaften des Egos nicht. Verhaltensweisen wie das Vergleichen mit anderen existieren hier nicht. Das Herz möchte Liebe geben und sich dem Leben für andere hingeben. Es ist dankbar für alles, was es geschenkt bekommt, und sich bewusst, dass alles im Leben ein Geschenk ist.
Emanuel Swedenborg berichtet von seinen Gesprächen mit Engeln (Geistwesen, einschließlich menschlicher), dass sie sich sehr über die Menschen auf Erden wundern – insbesondere darüber, dass sie stolz auf sich sind und ihre guten Eigenschaften und Leistungen sich selbst zuschreiben. Für die Engel ist es selbstverständlich, dass alles Gute von Gott kommt, einschließlich ihrer eigenen guten Eigenschaften und Fähigkeiten. Daher möchten sie für alles Gute, das geschieht und das sie erreichen, Gott danken und ihn lobpreisen. Das spiegelt die Haltung des ursprünglichen Gemüts gut wider.
Demut ist göttlicher Schutz, welcher nicht zulässt, dass wir unsere Erfolge sehen.
Das ursprüngliche Gemüt existiert in jedem von uns – es ist unsere innerste Natur und unser Herz. Auf dem mystischen Weg finden wir zu dieser Haltung zurück. Sie macht uns glücklich und frei. In dieser Haltung öffnet sich die Tür unseres Herzens, um Gottes Gnade und Liebe zu empfangen.
Die Pforte der Liebe ist die Demut, welche alle, die sich nähern, hereinführt.
Demut wird von buddhistischen und christlichen Mönchen, Nonnen und Mystikern gleichermaßen als sehr wichtig erachtet. Im orthodoxen Christentum gilt Hochmut als eines der Hauptprobleme des Menschen.
Ich selbst erlebe Demut als sehr befreiend. Für mich fühlt es sich an, als könne man mit Demut überall mit Leichtigkeit hingehen. Sobald sie verloren ist, eckt man überall an und bleibt hängen. Wenn ich beginne, stolz, hochmütig oder arrogant zu werden, verschließt sich schnell mein Herz – und Gottes Gnade kann mich nicht mehr erreichen.
Wenn die Meinung nicht mehr mit den natürlichen Vorzügen prahlt, ist das ein Zeichen beginnender Gesundheit.
Demut und Dankbarkeit sind wie ein Gradmesser dafür, ob man sich in einer guten geistigen Haltung befindet.
Wenn ihr während eures Gebetes viele geistige Erfahrungen habt, dann werdet ihr auferweckt. Wenn ihr mit einem solchen Herzen voranschreitet, wird Gott euch mit Sicherheit helfen, noch bevor ihr daran denkt. Ihr solltet Sein Herz in allem empfinden, was ihr sagt und lehrt. Sein Herz muss vor eurem Wort kommen, nicht danach.
Darum müsst ihr immer demütig sein. Darum müsst ihr ohne ein Wort nach hinten gehen. Wenn ihr das tut, dann werdet ihr das Herz Gottes vor euch fühlen. Warum ist das so? Sein Herz wird
euch zu jeder Zeit nach vorne ziehen. Solange ihr in einer solchen Position seid, könnt ihr eine Menschenmenge lehren, egal wie viele Leute vor euch stehen.
2.7.a Phänomen 4: Gotte Führung und Gnade erfahren
Nun habe ich bereits die wesentlichen Prozesse des Weges beschrieben. Es ist nicht immer leicht zu verdauen, was der Weg zu Gott von uns abverlangt. Nach der harten Arbeit auf dem Feld im Frühjahr reifen die Früchte langsam über den Sommer hinweg. Schließlich kommt die Erntezeit. Genauso dürfen auch wir – wenn wir die Voraussetzungen geschaffen und die Phasen geduldig durchlebt haben – Gottes Gnade empfangen.
Alles beginnt mit einer Suche und einer Frage
An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass der Weg zu Gott mit einer Suche oder Frage beginnt. Wenn wir uns nicht nach Gott ausstrecken, sehnen, fragen und suchen, können wir nicht erwarten, ihn zu finden. Die aufrichtige Suche wird uns zu ihm führen.
Klopfet an, so wird euch aufgetan. Sucht, so werdet ihr finden; bittet, so wird euch gegeben.
Eine psychologische Beratung oder Therapie beginnt mit einem Auftrag. Ohne Auftrag darf der Therapeut nicht aktiv werden. Der Auftrag muss vom Klienten kommen. Die Auftragsklärung ist der erste und wichtigste Schritt. Sie entscheidet maßgeblich über den Erfolg der Therapie. Wenn im Laufe des Prozesses deutlich wird, dass der Auftrag unklar ist, muss die Auftragsklärung erneut wiederholt werden. So lernt man es in einer therapeutischen Ausbildung, weil es ein grundlegendes Prinzip ist.
Um Gottes Führung und Gnade zu erhalten, müssen wir den ersten Schritt tun und nach ihr fragen und suchen. Damit beginnt der Weg.
Meine persönliche Suche
Gott hat mir unverdienterweise viele wunderbare Erfahrungen geschenkt – sicher nicht, weil ich ein besonders heiliger oder gläubiger Mensch bin. Das Einzige, was mir vielleicht dazu verholfen hat, war mein aufrichtiges Suchen nach diesem inneren Weg. Es war manchmal weniger eine bewusste Tugend als vielmehr eine Suche aus Verzweiflung – durch meine zahlreichen Depressionen, Glaubenskrisen und mein sündiges Verhalten, das ich nicht in den Griff bekommen konnte. All das trieb mich immer weiter und immer tiefer dazu, nach Gott zu suchen.
Der Zweck meines speziellen Kurses
Gott offenbarte mir durch einen Traum den Zweck dieses eigenartigen Kurses. Oft habe ich mich gefragt, warum Gott mich anders führt als viele andere Menschen. In unserer Glaubensgemeinschaft konnte ich häufig nicht an wichtigen Veranstaltungen teilnehmen. Dadurch fühlte ich mich oft am Rand stehend und nicht wirklich dazugehörig. Zudem hatte ich oft den Eindruck, dass für die inneren Dinge, über die ich sprach, kein Raum war. Vieles befand sich natürlich noch im Prozess und war unreif. Dennoch hatte ich das Gefühl, meinen Weg genau so gehen zu müssen.
Diese Außenseiterrolle habe ich durch mein Verhalten sicherlich selbst mitverursacht. Doch meine Frau und ich fragten uns oft, warum Gottes Führung diese Rolle noch verstärkte. Wir fühlten uns wie Noah, der auf dem Berg ein Schiff baut und von allen für verrückt erklärt wird.
Dann gab mir Gott durch einen Traum einen Hinweis. In diesem Traum hatte ich ein Vorstellungsgespräch mit dem Chef einer Firma. Ich sollte eine Aufgabe als Kraftfahrer übernehmen. Doch zu meiner Überraschung verlangte er noch etwas anderes von mir. Der eigentliche Zweck meiner Anstellung war nicht, die gewöhnliche Arbeit zu verrichten. Vielmehr sollte ich etwas herausfinden: Irgendjemand in der Firma stahl, und der Chef wollte, dass ich herausfinde, wer es war. Der Traum lässt sich auf verschiedene Weise interpretieren.
In einem Gebet schenkte mir Gott durch eine kleine Erleuchtung das Verständnis für die Botschaft dieses Traums. Meine Aufgabe war eine andere als die der Mitarbeiter, die die Firma produktiv betreiben sollten. Ich sollte etwas untersuchen und etwas herausfinden, das für Gott von Bedeutung war. Doch niemand in der Firma durfte davon wissen. Ebenso sollte niemand in unserer Glaubensgemeinschaft den wahren Zweck meines Wirkens erkennen, bis es herausgefunden und reif ist.
Das Ziel meines Weges war es also, im Hintergrund etwas zu erforschen. Gott führte mich bewusst darauf hin, weil er mir den inneren Weg offenbaren wollte. Dafür musste ich große Demut entwickeln.
2.7.b Ich bin kein Arbeitgeber!
Es war eine Lebensphase, in der ich sehr viel arbeitete. Wir hatten ein fast 100 Jahre altes, sanierungsbedürftiges Haus gekauft. Unsere Vision war es, einen Wohnort und zugleich einen Ort für innere und spirituelle Entwicklung zu schaffen. Da nach dem Kauf kein Geld mehr übrig war, blieb uns nichts anderes übrig, als alles selbst zu machen.
Sieben Jahre lang tat ich kaum etwas anderes als arbeiten und beten. Nach der Arbeit zog ich sofort meine Handwerkerhose an und arbeitete, bis meine Kräfte am Ende waren – meist bis 22 Uhr. Bis auf Ziegel und Balken erneuerten wir fast alles.
Nach einigen Jahren fühlte ich mich unter Druck. Ich war bereits Ende 50 und wollte unbedingt noch etwas für Gott tun. Doch der Arbeitsaufwand war so gewaltig, dass sich alles endlos hinzog. Immer wieder fragte ich Gott, was ich in dieser Situation für ihn tun könnte. Dann gab er mir eine Botschaft.
Ich hatte einen Traum mit ungewöhnlich klaren Bildern. In diesem Traum bewarb ich mich bei einer Firma um eine Arbeitsstelle. Noch war unklar, welche Position ich bekommen würde. Mir wurden verschiedene Aufgaben gezeigt – Büroarbeit oder technische Tätigkeiten. Doch keine dieser Aufgaben begeisterte mich besonders.
In einem längeren stillen Gebet geschah plötzlich etwas. Ich hatte eine Einsicht – nicht nur eine intellektuelle Erkenntnis, sondern eine kleine Erleuchtung. Es kam wie aus dem Nichts über mich. Zunächst war es ohne Inhalt, ein reines geistiges Erleben, das aus einer Tiefe kam, die man im Nichts zu erahnen beginnt. Einen Moment später wurde es zu einem klaren Satz:
„Ich bin kein Arbeitgeber! Ich möchte nur durch dich da sein!“
Diese Botschaft überwältigte mich emotional. Noch heute bekomme ich Tränen in den Augen, wenn ich daran denke. Sie veränderte meinen Blickwinkel vollkommen.
Gott wollte nicht jemanden, der für ihn arbeitet – doch genau so hatte ich die Beziehung zu ihm gelebt. Ich hatte ihn wie einen Arbeitgeber behandelt, für den ich arbeiten konnte, um mir seinen Lohn zu verdienen. Ich glaubte, ihn zufriedenstellen zu können, wenn ich genug leistete.
Doch Gott rüttelte mich aus dieser begrenzten Vorstellung wach. Das war nicht die Beziehung, die er mit mir wollte.
Gott möchte in mir leben. Gott möchte sich durch mich manifestieren.
Diese Einsicht veränderte mein Gefühl zu Gott. Nicht mehr der Druck, etwas vollbringen zu wollen, um Gott Freude zu machen, stand im Vordergrund. Stattdessen wurde mein Fokus, mich vorzubereiten und zu öffnen, damit Gott in mir wohnen kann.
Wenn Gott in erster Linie durch mich da sein will, dann kann er das in jedem Moment – während ich Putz von den Wänden klopfe, auf der Toilette sitze, spazieren gehe oder mit einem Menschen spreche. Nicht die äußere Handlung ist entscheidend, sondern mein Bewusstsein und meine Liebe zu Gott in jedem Moment.
Was ich für Gott tun kann, entspringt dann nicht mehr meiner Überlegung und Planung, sondern entfaltet sich im Herzen in jedem Moment meines Lebens. Jeder Moment wird so zu einem Ausdruck des Seins und Wirkens im Sinne Gottes.
2.7.c Wie funktioniert die Beziehung zu Gott
Wenn wir uns durch die Suche nach Wahrheit und ein bestimmtes Gottesbild auf den Weg zu Gott machen, entwickeln wir oft eine Vorstellung von ihm. Unsere Beziehung zu Gott gestaltet sich dann entsprechend dieser Vorstellung. Auf dem mystischen Weg jedoch suchen wir über das Gebet eine direkte Erfahrung mit Gott – und dabei gab es für mich einige Überraschungen.
Zu Beginn unseres Gebetslebens wenden wir uns Gott zu, ähnlich wie wenn wir mit einem Menschen sprechen. Wir haben ein Gegenüber, dem wir uns ausdrücken, und erwarten eine Reaktion. Doch hast du jemals darüber nachgedacht, wie es möglich ist, mit Gott eins zu sein und gleichzeitig mit einem Menschen in Beziehung zu stehen? Wir können nicht zu Gott beten und gleichzeitig mit jemandem sprechen – das würde unsere Aufmerksamkeit spalten. Das wäre unerträglich.
Die Beziehung zu Gott ist jedoch völlig anders als die zu einem Menschen. Gott manifestiert sich nicht als Gesprächspartner im herkömmlichen Sinne, sondern als neues Gefühl in unserem Herzen. Man könnte es als Resonanz bezeichnen – eine innere Schwingung, in der wir Gott in uns fühlen. Wir kommunizieren nicht mit Gott über Gedanken oder Worte, sondern erfahren ihn unmittelbar durch dieses innere Erleben.
Dadurch sind wir in der Lage, einem Menschen unsere volle Aufmerksamkeit zu schenken, ohne auch nur für eine Sekunde die Nähe und den Kontakt zu Gott zu verlieren.
2.7.d Gott liebt uns mehr als wir uns vorstellen können
Wenn uns ein Mensch liebt, kann er für uns da sein, uns umarmen, uns aufmerksam zuhören, uns etwas schenken, uns unterstützen und verteidigen.
Verglichen mit der Liebe, die Gott uns geben möchte, ist das sehr wenig. Gott geht noch einen bedeutenden Schritt weiter. Er möchte in uns wohnen. Er möchte mit dem Wertvollsten, was er hat – seinem Herzen – mit dir persönlich eins werden. Es ist die größte Wertschätzung, die vorstellbar ist, die größte Aufmerksamkeit, die möglich ist, die größte Hingabe, die denkbar ist, und das größte Geschenk, das es in diesem Universum gibt. Alles möchte er uns darbringen.
Wie viel von seiner Liebe würde Gott uns wohl geben wollen? Gottes Liebe wird nicht gemäß irgendwelcher Grenzen gegeben, die bestimmen, wie viel genug ist. Es ist eine Liebe, die unbegrenzt geben möchte. Selbst nachdem Er alles gegeben hat, wird Gott immer noch sagen: „Ich möchte deinetwegen in dir leben.“
2.7.e Das Prinzip von Offenbarungen
In einer bedeutenden mystischen Rede, in der Sun Myung Moon den Nullpunkt-Standard erklärt, spricht er auch über Offenbarungen. Er gibt einige Beispiele, wie diese übermittelt werden.
Das Feld eures Gemüts ist nicht flach wie eine Glasfläche, sondern es ist uneben. Es besitzt die Form einer flachen Oberfläche, aber die Form selbst ist uneben. Wenn also ein himmlischer Strahl auf die unebene Fläche eures Gemüts trifft, dann wird er in eine Richtung reflektiert, die der des auftreffenden Strahls entgegengesetzt ist, genau wie bei der Reflexion des Lichts. Visionen sind deshalb alle verschieden. Gott arbeitet auf diese Weise, um jeden Teil eures Gemüts zu erleuchten.
Grundsätzlich kommen Offenbarungen aus dem geistigen Bereich. Gott und die geistige Welt mit all ihren geistigen Wesen bilden diesen Bereich. Die Kommunikation dort erfolgt nicht durch direkte Worte. Wir brauchen keine Sprache, um zu kommunizieren. Wie genau das funktioniert, kann ich nicht sagen. Doch in meiner eigenen Erfahrung konnte ich das Prinzip erleben:
Eine geistige Botschaft kommt aus dem geistigen Bereich. In diesem Stadium besteht sie noch nicht aus Worten. Erst wenn sie auf unser geistiges Gemüt mit seiner individuellen Oberfläche trifft – wie es in der Rede beschrieben wird – wird sie zu einem inhaltlichen Satz. Erst dann kann sie in Bilder oder Worte gefasst werden.
Zusammenwirken von Ereignissen im Leben oder Träumen – die im Nachhinein zu Erleuchtungen werden
Anhand eines Beispiels könnt ihr seine Bedeutung erkennen: Eine Person, die vorübergeht, sieht zufällig, wie ein Vogel von der Mauer eines schönen Hauses wegfliegt; auch nachdem der Vogel schon weggeflogen ist, erteilt die Beobachtung dieses Geschehens im Nachhinein noch eine Lehre. Solche Phänomene werden geschehen. Solche Dinge werden in eurem täglichen Leben tatsächlich stattfinden. Die Zahl dieser bedeutungsvollen Beobachtungen wird sich mehren. Ihr werdet Einblick in neue Zusammenhänge bekommen, während ihr jemanden reden hört. Solche Erfahrungen werden langsam zahlreicher werden.
In meinen Erfahrungen waren es oft Träume, die ich nur teilweise verstand. Erst im Gebet wurden sie zu einer Erleuchtung, die mir ihre Botschaft offenbarte. Genauso kann Gott durch Ereignisse in der Natur oder an einem bestimmten Ort im Alltag etwas aufzeigen. Auch wenn Menschen sprechen oder wir etwas hören, kann plötzlich eine solche Erleuchtung geschehen. Eine geistige Erleuchtung lässt uns die Botschaft dann erkennen und verstehen.
Wenn wir viel beten und unsere geistige Empfindsamkeit geöffnet ist, können wir solche Erfahrungen häufiger machen. Wahrscheinlich geschehen sie oft, doch wir erkennen sie nicht oder sind nicht offen für die Erleuchtung.
Ihr werdet beginnen, in euren Träumen Offenbarungen zu erhalten, aber damit meine ich nicht die Träume, während ihr tief schlaft. Der heilige Paulus erlebte den dritten Himmel, während er halb wach war. Lasst solche Phänomene nicht unachtsam an euch vorübergehen. Sammelt und analysiert die Daten wissenschaftlich, um herauszufinden, mit was sie euch verbinden wollen. Das Ergebnis wird sicherlich erscheinen. Ihr werdet langsam erfahren, dass die Offenbarungen, die ihr in euren Träumen hattet und die ihr schwerlich vergessen könnt, in der Realität zu 100 Prozent wahr werden. Ihr werdet solche Erfahrungen haben.
Wir sollen solche Offenbarungen also ernst nehmen und wertschätzen.
Gleichzeitig müssen wir darauf achten, nicht alles, was geschieht, als Offenbarung zu überinterpretieren. Das kann passieren, wenn wir auf der mentalen, intellektuellen Ebene stehen bleiben.
Ein entscheidender Satz im Zitat lautet: "Das Ergebnis wird sicherlich erscheinen." Hier kommt das geistige Phänomen der Erleuchtung ins Spiel. Erst durch geistige Empfindsamkeit öffnen wir uns für die Erleuchtung – das Erscheinen. Diese erlangen wir, wie beschrieben, durch Meditation und ein intensives Gebetsleben.
2.7.f Eine persönliche Erfahrung mit Verheißungen
An einem 1. Januar hatte ich einen Traum von Sun Myung Moon. Er war sehr klar und real, und ich fühlte mich ihm sehr nahe. Er saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, und ich genauso ihm gegenüber. Dann nahm ich seine Hand und betrachtete sie genau. Ich sagte zu ihm: „Eine gute Hand.“ Er antwortete: „Gute Hand – gutes Herz.“ Dann nahm er meine Hand und sagte: „Auch eine gute Hand.“ Damit war der Traum schon vorüber.
Es war 3 Uhr morgens, und ich konnte nicht mehr schlafen. Also zog ich mich an und machte einen Spaziergang im Park. Dort sah ich einen Hasen – und dann noch einen. Irgendwie fühlte es sich besonders an. Es ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches, nachts Hasen zu sehen, aber es tauchten immer mehr auf, bis es schließlich fünf waren. Fünf Hasen! Plötzlich überkam mich ein Schauer, und ich erkannte die Parallele: Eine Hand hat fünf Finger – und nun diese fünf Hasen. Sofort erinnerte ich mich daran, dass Sun Myung Moon einmal sagte, Hasen seien ein gutes Verheißungszeichen.
Es folgte ein innerlich sehr schwieriges Jahr. Doch während dieser Zeit sah ich immer wieder einen Hasen – und jedes Mal geschah kurz darauf etwas Gutes im Zusammenhang mit meiner mystischen Arbeit. Beispielsweise entstanden die ersten Kontakte völlig überraschend. Ich konnte Menschen in Gesprächen bewegen, die dann den ersten Workshop organisierten. Auch vor dem ersten Probeworkshop mit meiner Familie sah ich wieder einen Hasen. Das ganze Jahr über gab es diese zusammenhängenden Phänomene.
Diese Ereignisse standen immer im Zusammenhang mit dem neuen mystischen Ansatz und dem Vorhaben, meine Erfahrungen weiterzugeben.
Vor dem Workshop hatte ich seltsamerweise immer wieder den Gedanken, dass ich nicht vor dem Workshop sterben durfte. Dieses Ereignis war für meine Aufgabe von großer Bedeutung. Ich fühlte stark, dass ich die Erfahrungen und die Botschaft, die Gott mir gegeben hatte, an die nächste Generation weitergeben musste. Die Frage stand im Raum, ob ich bereit wäre, dafür zu sterben. Ich sagte mir: Wenn ich danach sterbe, ist es nicht so schlimm – aber nicht davor. Irgendwie wurde das Thema Sterben oder nicht sterben vor diesem Workshop zu einer inneren Auseinandersetzung.
Als ich schließlich den ersten Workshop durchführte, bekam ich in der Nacht darauf plötzlich Schweißausbrüche und Herzschmerzen – ein Gefühl, das ich zuvor noch nie erlebt hatte. Ich hatte Angst, dass es ein Herzinfarkt sein könnte, und ließ mich von meinem Sohn ins Krankenhaus fahren. Die ganze Nacht über wurde ich untersucht, doch es stellte sich heraus, dass mit meinem Herzen alles in Ordnung war. Erleichtert spazierte ich um 5 Uhr morgens nach Hause.
Dank einiger Videos, die wir während des Probeworkshops aufgenommen hatten, konnte ich mir eine kurze Pause gönnen und den Workshop trotzdem vollständig durchführen.
In der nächsten Nacht hatte ich wieder intensive Träume und lag um 3 Uhr hellwach im Bett. Dann verspürte ich einen inneren Ruf von Sun Myung Moon, hinauszugehen. Also machte ich erneut einen Spaziergang, doch diesmal hatte ich das starke Gefühl, einen anderen Weg zu wählen. Auf diesem Weg fand ich dann 50,- €. Ich war überrascht und musste sofort wieder an die Zahl fünf denken. Ich interpretierte es als Zeichen, dass die fünf Verheißungen mit diesem Workshop erfüllt waren.
Diese Erfahrungen zeigen, wie Geschehnisse, Träume und Erleuchtungen zusammenwirken und zu Botschaften werden. Gott kann uns durch solche Mittel führen und lehren.
Früher hatte ich oft Zweifel und achtete darauf, solche Ereignisse nicht überzubewerten. Doch durch mein intensiveres Gebetsleben hat sich meine geistige Empfindsamkeit weiter geöffnet. Hinzu kam der Aspekt der Erleuchtung, der eine enorme Intensität besitzt – so sehr, dass ich die Zusammenhänge nicht mehr leugnen kann.
2.8.a Phänomen 5: Das wahre Selbst entdecken - die Überraschung des Seins
Viele Menschen in den mystischen Religionen sind auf der Suche nach ihrem wahren Selbst. Die Psychologie gibt uns darauf keine Antwort. Auf dem mystischen Weg gehen wir viel tiefer als in unsere Psyche. Wir öffnen uns für den Bereich des Geistes. Nur hier können wir den Kern unseres Wesens finden – nicht im Körper oder Gehirn, nicht im Denken und Fühlen. Das wahre Wesen liegt tiefer. Es ist im Geist oder in der Seele zu entdecken. Aber was werden wir erfahren, wenn wir ihm begegnen?
Auf der Such im Haus der Seele
Stell dir vor, dein Wesen ist ein Haus, und du gehst auf die Suche. Du hast alle Zimmer durchsucht und dein wahres Selbst nicht gefunden – nicht im Denken, nicht im Fühlen, nicht in deiner Vergangenheit, nicht in deinen Sehnsüchten und Wünschen.
Dann begibst du dich in die Tiefe und betrittst den Keller. Du durchsuchst die Räume deiner unbewussten Schichten. Doch auch dort findest du es nicht – nicht im Trancezustand, nicht in Tiefenhypnose und nicht in Visionen.
Du entdeckst noch eine Treppe, die noch tiefer in deine Seele führt. Hier ist es ganz still. Eine Meditation, in der Denken, Fühlen und Wollen zur Ruhe gekommen sind. Selbst hier findest du dein wahres Selbst nicht, auch nicht, wenn du dich wochenlang in einer Dunkelkammer aufhältst.
Dann entdeckst du noch eine Stufe, die in weitere Tiefe führt. Hier öffnest du dich vollständig für Gott und du findest den innersten Raum deiner Seele. Du hast die Hand an der Türklinke und bist atemlos vor Aufregung. Was wirst du entdecken, wenn du hinter die Tür blickst?
Was denkst du?
Ein wunderbares, reines, heiliges Selbst, das vor dir erstrahlt? Ein Wesen ohne Schwächen und Probleme? Ein Individuum, das voller Liebe erstrahlt?
Ich sage dir, der erste Teil der Antwort wird enttäuschend sein. Du öffnest die Tür und findest kein individuelles wahres Selbst.
Es gibt kein individuelles wahres Wesen!
Der zweite Teil der Antwort ist besser, als du es dir vielleicht erträumt hast. Hinter dieser innersten Tür wirst du Gott entdecken.
Wenn du sagen würdest: „Ich bin Gott“, ist das richtig.
Aber man sagst das nicht.
Dies war für mich die größte Überraschung des mystischen Weges. Wie oft habe ich gelesen: „Gott ist im innersten deines Herzens“. Aber wie hätte ich das erfassen sollen? Es blieb lange nur eine Idee, ein Konzept.
Sun Myung Moon erklärt auch, dass das Geistige Gemüt – der innerste Teil unseres geistigen Selbst (Seele) – untrennbar mit Gott verbunden ist und ohne eine Beziehung zu Gott nicht existieren kann.
Man könnte es auch so ausdrücken: Unser wahres Selbst – der innerste Kern unseres Wesens – ist kein „individuelles“ Selbst mehr. Es ist ein globales Selbst, das mit Gott und allen Wesen verbunden ist.
Das geistige Gemüt ist der Kern des Geistigen Selbst, es ist der Ort, an dem Gott wohnt.
Das geistige Element des Geistes (Geistiges Gemüt) entsteht nicht ohne eine Beziehung zu Gott.
2.9. Phänomen 6: Einheit mit Gott
Gott wird in dir geboren
Nun möchte ich eine Erfahrung schildern, in der mir Gott einen Vorgeschmack auf das letztendliche Ziel gegeben hat.
Es war im Grunde keine spektakuläre Erfahrung, wie man vielleicht erwarten würde. Nach einer langen Dürrephase im Gebet entwickelte sich ein leises Gefühl in meinem Herzen. Es war keine gewöhnliche Emotion, sondern eher eine spirituelle Vibration. Diese Schwingung löste ein Gefühl der Liebe aus – sobald ich einem Menschen begegnete oder sogar, wenn ein Insekt über meinen Arm krabbelte. Das Besondere daran war, dass diese Empfindung nicht aus mir selbst kam. Es war etwas, das nicht „ich“ bin, und doch war es im Innersten meiner selbst zu spüren.
Es war nicht unangenehm, dass es nicht von mir kam. Im Gegenteil – ich fühlte, dass es die größte Wertschätzung war, dass diese Liebe in mir ihren Wohnort gefunden hatte. Ein Gefühl: „Gott ist in mir eingezogen.“ Ja fast, „Ich bin Gott“, wie Sun Myung Moon es ausdrückt. Doch dieses Gefühl war mit größter Demut und Dankbarkeit verbunden. Jede kleinste Spur von Überheblichkeit des Egos hätte es sofort zerstört.
Jeder Moment des Lebens war fantastisch. Das einzige Problem, das sich daraus ergab, war: Wie kann ich diese Liebe jemandem geben? Am liebsten hätte ich die Menschen auf der Straße umarmt. Dann versuchte ich, sie durch ein freundliches Wort weiterzugeben. Doch alles erschien mir zu wenig, ja lächerlich wenig.
Dieses spirituelle Gefühl hielt einige Wochen an. Es war wie eine kleine Flamme, die im Innersten meines Herzens stetig brannte. Sehr deutlich wurde, dass diese Vibration der Liebe schnell erlosch, sobald ich mich in Gedanken verlor. Um sie aufrechtzuerhalten, musste ich also achtsam bleiben. Der ganze Tag wurde zu einer Meditation, einem immerwährenden Gebet – einem Lied der Liebe, das ständig spielte.
Obwohl diese Erfahrung nicht so spektakulär erscheint, würde ich sie nicht gegen emotional überwältigende mystische Erlebnisse eintauschen. Diese Erfahrung war vollkommen geerdet und in jedem Moment auf Nächstenliebe ausgerichtet. Sie inspirierte mich ständig dazu, Liebe zu geben, ohne mich zu drängen. Es war einfach die größte Freude, zu lieben.
2.10.a Zusammenfassung des inneren Weges
Hier ist ein Überblick über den Prozess und die beschriebenen Phänomene:
- Phase 1: Der Anfang
- Phase 2: Die Vertiefung
- Phänomen 1: Die dunkle Nacht der Seele
- Phänomen 2: Selbsterkenntnis - Reinigung des Gemüts
- Phänomen 3: Auflösung der Ego-Identifikation
- Phänomen 4: Gotte Führung und Gnade erfahren
- Phänomen 5: Das wahre Selbst entdecken
- Phänomen 6: Einheit mit Gott
2.10.b Schlusswort zu diesem Kapitel
Dies war eine Beschreibung des inneren Weges, den mir Gott als Geschenk der Gnade offenbart hat – das, wonach ich über 40 Jahre, seit meiner Jugendzeit, gesucht habe. Auch wenn ich noch ganz am Anfang dieses Weges stehe, habe ich verstanden, wie er grundsätzlich funktioniert. Dieses Wissen kann ich im Praxisteil und in Workshops weitergeben.
Die Erklärungen, die ich verwendet habe, sind vielleicht noch nicht alle ausgereift oder mit wissenschaftlicher Präzision ausgearbeitet. Vieles ist noch diskussionswürdig. Dennoch hat mir dieses Verständnis ausgereicht, um zu diesen Erfahrungen zu gelangen – und genau darum geht es mir in erster Linie.
Ich möchte Menschen, unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer Religionszugehörigkeit, die Praxis weitergeben, die uns eine direktere Erfahrung mit Gott ermöglicht. Menschen, die bereits ein Glaubensleben führen und sich eine Vertiefung ihrer Spiritualität oder einen direkteren Zugang zur Gotteserfahrung wünschen, kann ich dabei unterstützen.
Wenn ich Menschen begleite, geht es mir in erster Linie darum, dass sie selbst dahin gelangen, von Gott geführt zu werden. Ich bin überzeugt, dass Gott jeden Menschen leitet. Oft müssen wir uns jedoch dafür öffnen und lernen, seine Führung zu verstehen.
Manchem mag das Ziel, mit Gott eins zu werden, viel zu groß erscheinen. Vielleicht empfindet er oder sie eine zu hohe Erwartung oder Druck. Manche haben auch Angst, ihre Individualität zu verlieren.
Hier kann ich beruhigen: Jeder beginnt genau dort, wo er ist, und wird in seinem eigenen Tempo von Gott weitergeführt. Wir können die Schritte nur gehen, wenn wir innerlich wirklich bereit dazu sind. Niemand kann uns zwingen oder drängen. Es funktioniert nur aus freiem Willen und in stimmigen, kleinen Schritten. Das Wichtigste ist nicht, wo wir geistig stehen, sondern die beruhigende und erfüllende Gewissheit, dass wir auf dem Weg zu Gott sind. Alles andere kommt zu seiner Zeit.
Ich selbst hatte keinen lebenden Meister, wie es in der buddhistischen Tradition üblich ist. Mein Meister ist Sun Myung Moon, der mich aus der Geistigen Welt führt. Viel habe ich von den Mystikern gelernt. Es war immer ein intensives Erlebnis, mich eine Zeit lang mit der Literatur eines Mystikers zu beschäftigen. Anfangs hatte ich oft Widerstände und unangenehme Auseinandersetzungen mit ihren Gedanken. Doch nach Wochen entstand meist eine tiefe Liebe zu ihnen. In den Momenten, in denen ich ihr Herz wirklich verstand, vergoss ich viele Tränen.
Noch heute überkommen mich tiefe Gefühle, und ich bekomme feuchte Augen, wenn ich ihre Bilder in meinem Gebetsraum betrachte. Einige von ihnen habe ich im Gebet als spürbare Präsenz erlebt. Ihnen gebührt, neben Gott, mein größter Dank.